Pazifismus heute
Gewaltfreiheit angesichts von Krisen und Kriegen
Mit dem Ende der Ost West Konfrontation 1989/1990 müssen sich Pazifisten in der öffentlichen Diskussion neuen Fragen stellen:
Es geht nicht mehr in erster Linie um den Widerstand gegen die atomare Abschreckung mit der Drohung einer Selbstvernichtung der Menschheit.
Hier gibt es in der öffentlichen Meinung wohl weiterhin eine breite Unterstützung für die Forderung nach Abschaffung aller Atomwaffen.
Neu ist jedoch die Herausforderung, der militärischen Gewalt auch dort die Legitimation zu entziehen, wo sie weltweit zu »humanitären Zwe cken« eingesetzt wird, immer häufiger nicht einmal mehr nur aufgrund einer nationalen Entscheidung, sondern mit ausdrücklicher Billigung der zuständigen UN Organe.
Gegenüber dieser neuen Legitimation militärischer Gewalt gilt es, sich der Wurzeln gewaltfreien Lebens und Handelns zu vergewissern:
Es gibt »bessere« Gründe für Gewaltfreiheit als »gute« Gründe für Gewalt
Grundlage des menschlichen Zusammenlebens ist der Respekt vor allen Menschen, einschließlich denen, die Unrecht tun, in böser Absicht handeln, schuldig werden.
Auch ihr Leben und ihre Menschenwürde sind unantastbar.
Dies bedeutet, dass unserem Bemühen, Unrecht zu verhindern, Grenzen gesetzt sind; wir dürfen nicht alles, wozu wir technisch in der Lage sind und was wir machen können.
Wir kennen die »guten Gründe«, die angeführt werden, um die Grenze des Tötungsverbots zu überschreiten. Wir sind jedoch überzeugt, dass es bessere Gründe gibt, auch dann nicht zur Gewalt zu greifen, wenn solche »guten Gründe« dafür genannt werden.
Die Annahme solcher »guten Gründe« setzt schon ein Vertrauen in Informationen voraus, die interessengeleitet sind und von uns in der Regel erst im historischen Rückblick überprüft werden können.
Die Menschen, die das notwendige Opfer der geforderten militärischen Maßnahmen werden sollen, haben zumeist selbst keine Möglichkeit, uns ihre Sicht der Dinge darzulegen. Es werden von uns auf diese Weise bei Nachrichten über »den drohenden Völkermord in ...« Urteile über Menschen abverlangt, denen das »rechtliche Gehör« versagt wird und die zu Feinden erklärt werden, bevor sie sich als Menschen äußern konnten.
Die Möglichkeiten gewaltfreien Handelns ausschöpfen
Wir sind überzeugt, dass in nahezu allen Konflikten, die zur Begründung »humanitärer militärischer Einsätze« genannt werden, die Möglichkeiten gewaltfreien Handelns nicht ausgeschöpft wurden.
Dazu gehören
- die vorbeugende Arbeit an der Überwindung der Bedingungen, die Gewalt und Krieg erst möglich machen,
- der Einsatz von Vermittlern, um den Dialog und die Mediation zwischen den Konfliktparteien in Gang zu setzen,
- der gewaltfreie Widerstand und die Verbreitung seiner Methoden
- und der beharrliche Einsatz beim Abbau struktureller Gewalt durch die Arbeit an gerechten Verhältnissen in der Gesellschaft und in der Weltwirtschaft.
Gewaltfreiheit und Gewalt sind nicht symmetrisch
Dabei ist uns allerdings bewusst, dass gewaltfreie Methoden in ihrer Wirksamkeit begrenzt sind (das ist selbstverständlich auch bei militärischen und anderen gewaltsamen Methoden der Fall).
Dies beginnt bei den menschlichen Schwächen: Wir können von uns selbst nicht annehmen, dass wir die besseren Regierenden wären und von staatlicher Macht, wenn wir sie besäßen, einen besseren Gebrauch machen würden als die, die wir kritisieren.
Deshalb streben wir nicht nach dieser Macht, sondern suchen andere Formen, unsere Mitverantwortung sowohl für die lokale Gemeinschaft als auch für den ganzen Erdkreis wahrzunehmen.
Es mag auch Situationen geben, wo wir selbst mit den besten gewaltlosen Methoden der Gewalt unterlegen sind.
Gewaltloses Leben und Handeln steht der Gewalt nicht symmetrisch gegenüber und will sich mit ihr auch nicht auf gleicher Ebene messen.
Gewaltlosigkeit ist in einen anderen Zeitrahmen eingebettet als die Gewalt. Im Verhältnis zur Gewalt scheint sie manchmal »am Ende«, wenn sie nach ihren eigenen Gesetzen erst am Anfang steht.
Aber auch unter besten Bedingungen kann gewaltloses Handeln zu Niederlagen führen.
Wir können deshalb nicht für den Erfolg unseres Bemühens garantieren, aber wir sollen Position beziehen: Wir stehen auf der Seite derer, die ohne Waffen sind, die Unrecht leiden, die unsere Erde den nachfolgenden Generationen bewahren wollen.
Bedingungslose Ablehnung von Militär
In der praktischen Politik wissen wir um das Stückwerk unseres eigenen Tuns, um die Notwendigkeit, mit vielen anderen zusammenzuarbeiten, die nicht immer unsere Überzeugung teilen.
Wir sind dankbar für alle Zwischenschritte auf dem Weg zur Überwindung der Gewalt, ohne damit den verbleibenden Rest gewaltsamer Strukturen rechtfertigen zu wollen.
Militärische Einsätze, auch wenn sie ernstlich humanitären Zielen dienen sollen, lehnen wir allerdings ohne Einschränkung ab.
Das Militär, das seinen Bestand und fortwährende Weiterrüstung durch solche Einsätze legitimieren will, ist selbst Teil des Problems, für dessen Beseitigung es angeblich eintritt, und verschlingt dabei nicht nur Menschen, sondern auch unermesslich viele Mittel, die - waffenlos eingesetzt - tatsächlich Hilfe bieten könnten.
Unsere Ablehnung des Militärs umfasst auch dessen Einsatz im Rahmen der UN. Möglicherweise sind die von den UN bezeichneten Ziele solcher Einsätze gut. Das Mittel militärischer Gewalt nimmt jedoch immer die Tötung und Verletzung von Menschen in Kauf und hält damit eine Gewaltspirale in Gang. Diese Spirale wollen wir durch unser Leben und Handeln umkehren, soweit wir dies mit unseren Kräften können.
Ullrich Hahn
(Ullrich Hahn ist der Vorsitzende des deutschen Zweiges des Internationalen Versöhnungsbundes. Dieser Text wurde als Diskussionspapier für die gemeinsam von Versöhnungsbund, Bund für Soziale Verteidigung und Friedenskreis Halle veranstaltete Tagung »Pazifismus heute - Gewaltfreiheit angesichts von Krisen und Kriegen« Mitte Oktober in Magdeburg erstellt.)
Forum Pazifismus IV/2004
Mit dem Ende der Ost West Konfrontation 1989/1990 müssen sich Pazifisten in der öffentlichen Diskussion neuen Fragen stellen:
Es geht nicht mehr in erster Linie um den Widerstand gegen die atomare Abschreckung mit der Drohung einer Selbstvernichtung der Menschheit.
Hier gibt es in der öffentlichen Meinung wohl weiterhin eine breite Unterstützung für die Forderung nach Abschaffung aller Atomwaffen.
Neu ist jedoch die Herausforderung, der militärischen Gewalt auch dort die Legitimation zu entziehen, wo sie weltweit zu »humanitären Zwe cken« eingesetzt wird, immer häufiger nicht einmal mehr nur aufgrund einer nationalen Entscheidung, sondern mit ausdrücklicher Billigung der zuständigen UN Organe.
Gegenüber dieser neuen Legitimation militärischer Gewalt gilt es, sich der Wurzeln gewaltfreien Lebens und Handelns zu vergewissern:
Es gibt »bessere« Gründe für Gewaltfreiheit als »gute« Gründe für Gewalt
Grundlage des menschlichen Zusammenlebens ist der Respekt vor allen Menschen, einschließlich denen, die Unrecht tun, in böser Absicht handeln, schuldig werden.
Auch ihr Leben und ihre Menschenwürde sind unantastbar.
Dies bedeutet, dass unserem Bemühen, Unrecht zu verhindern, Grenzen gesetzt sind; wir dürfen nicht alles, wozu wir technisch in der Lage sind und was wir machen können.
Wir kennen die »guten Gründe«, die angeführt werden, um die Grenze des Tötungsverbots zu überschreiten. Wir sind jedoch überzeugt, dass es bessere Gründe gibt, auch dann nicht zur Gewalt zu greifen, wenn solche »guten Gründe« dafür genannt werden.
Die Annahme solcher »guten Gründe« setzt schon ein Vertrauen in Informationen voraus, die interessengeleitet sind und von uns in der Regel erst im historischen Rückblick überprüft werden können.
Die Menschen, die das notwendige Opfer der geforderten militärischen Maßnahmen werden sollen, haben zumeist selbst keine Möglichkeit, uns ihre Sicht der Dinge darzulegen. Es werden von uns auf diese Weise bei Nachrichten über »den drohenden Völkermord in ...« Urteile über Menschen abverlangt, denen das »rechtliche Gehör« versagt wird und die zu Feinden erklärt werden, bevor sie sich als Menschen äußern konnten.
Die Möglichkeiten gewaltfreien Handelns ausschöpfen
Wir sind überzeugt, dass in nahezu allen Konflikten, die zur Begründung »humanitärer militärischer Einsätze« genannt werden, die Möglichkeiten gewaltfreien Handelns nicht ausgeschöpft wurden.
Dazu gehören
- die vorbeugende Arbeit an der Überwindung der Bedingungen, die Gewalt und Krieg erst möglich machen,
- der Einsatz von Vermittlern, um den Dialog und die Mediation zwischen den Konfliktparteien in Gang zu setzen,
- der gewaltfreie Widerstand und die Verbreitung seiner Methoden
- und der beharrliche Einsatz beim Abbau struktureller Gewalt durch die Arbeit an gerechten Verhältnissen in der Gesellschaft und in der Weltwirtschaft.
Gewaltfreiheit und Gewalt sind nicht symmetrisch
Dabei ist uns allerdings bewusst, dass gewaltfreie Methoden in ihrer Wirksamkeit begrenzt sind (das ist selbstverständlich auch bei militärischen und anderen gewaltsamen Methoden der Fall).
Dies beginnt bei den menschlichen Schwächen: Wir können von uns selbst nicht annehmen, dass wir die besseren Regierenden wären und von staatlicher Macht, wenn wir sie besäßen, einen besseren Gebrauch machen würden als die, die wir kritisieren.
Deshalb streben wir nicht nach dieser Macht, sondern suchen andere Formen, unsere Mitverantwortung sowohl für die lokale Gemeinschaft als auch für den ganzen Erdkreis wahrzunehmen.
Es mag auch Situationen geben, wo wir selbst mit den besten gewaltlosen Methoden der Gewalt unterlegen sind.
Gewaltloses Leben und Handeln steht der Gewalt nicht symmetrisch gegenüber und will sich mit ihr auch nicht auf gleicher Ebene messen.
Gewaltlosigkeit ist in einen anderen Zeitrahmen eingebettet als die Gewalt. Im Verhältnis zur Gewalt scheint sie manchmal »am Ende«, wenn sie nach ihren eigenen Gesetzen erst am Anfang steht.
Aber auch unter besten Bedingungen kann gewaltloses Handeln zu Niederlagen führen.
Wir können deshalb nicht für den Erfolg unseres Bemühens garantieren, aber wir sollen Position beziehen: Wir stehen auf der Seite derer, die ohne Waffen sind, die Unrecht leiden, die unsere Erde den nachfolgenden Generationen bewahren wollen.
Bedingungslose Ablehnung von Militär
In der praktischen Politik wissen wir um das Stückwerk unseres eigenen Tuns, um die Notwendigkeit, mit vielen anderen zusammenzuarbeiten, die nicht immer unsere Überzeugung teilen.
Wir sind dankbar für alle Zwischenschritte auf dem Weg zur Überwindung der Gewalt, ohne damit den verbleibenden Rest gewaltsamer Strukturen rechtfertigen zu wollen.
Militärische Einsätze, auch wenn sie ernstlich humanitären Zielen dienen sollen, lehnen wir allerdings ohne Einschränkung ab.
Das Militär, das seinen Bestand und fortwährende Weiterrüstung durch solche Einsätze legitimieren will, ist selbst Teil des Problems, für dessen Beseitigung es angeblich eintritt, und verschlingt dabei nicht nur Menschen, sondern auch unermesslich viele Mittel, die - waffenlos eingesetzt - tatsächlich Hilfe bieten könnten.
Unsere Ablehnung des Militärs umfasst auch dessen Einsatz im Rahmen der UN. Möglicherweise sind die von den UN bezeichneten Ziele solcher Einsätze gut. Das Mittel militärischer Gewalt nimmt jedoch immer die Tötung und Verletzung von Menschen in Kauf und hält damit eine Gewaltspirale in Gang. Diese Spirale wollen wir durch unser Leben und Handeln umkehren, soweit wir dies mit unseren Kräften können.
Ullrich Hahn
(Ullrich Hahn ist der Vorsitzende des deutschen Zweiges des Internationalen Versöhnungsbundes. Dieser Text wurde als Diskussionspapier für die gemeinsam von Versöhnungsbund, Bund für Soziale Verteidigung und Friedenskreis Halle veranstaltete Tagung »Pazifismus heute - Gewaltfreiheit angesichts von Krisen und Kriegen« Mitte Oktober in Magdeburg erstellt.)
Forum Pazifismus IV/2004
erstellt von Frila - 08.03.2005
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