Die »El-Salvador-Option«

Wahlen, Militäroffensiven und Todesschwadronen im Irak –
Herrschaftsstrategien der USA in dem besetzten Land
(Teil II und Schluß)

Von Joachim Guilliard

* Im gestern erschienenen ersten Teil des Artikels wurde die Einflußnahme der US-Regierung auf den Wahlprozeß im Irak untersucht.


Durch das monatelange Postengeschacher nach den Wahlen im Irak vom 30. Januar bis zu ihrer Vereidigung am 4. Mai 2005 hat auch das Image der neuen Regierung schon stark gelitten. Sich ernsthaft für einen verbindlichen, engen Zeitplan für den Abzug der US-Amerikaner einzusetzen ist ihre einzige Möglichkeit, sich unter den Irakern Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Da sie sich aber ohne deren Schutz nicht halten könnte, wird sie dies aus Eigeninteresse und aus Rücksicht auf die tatsächlichen Machtverhältnisse jedoch nicht tun.

Die Beherrscher des Landes sind weiterhin die USA mit ihren 140000 Soldaten und zahlreichen zivilen und militärischen Einrichtungen in der »Green Zone« Bagdads. Jeder, der den Irak bereist, kann sehen, wie sich die Besatzungsmacht auf Dauer im Land festsetzt. Beispielsweise im Camp »Victory North«, in der Nähe des Flughafens von Bagdad. Hier baut die Halliburton-Tochter Kellog, Brown & Root (KBR) seit über einem Jahr an einer ganzen Stadt, bestehend aus klimatisierten Bungalows, Turnhallen, Burger King, einem riesigen Supermarkt und allem, was sonst noch zum US-amerikanischen Way of Life gehört. Die Stadt beherbergt bereits 14000 Soldaten; fertiggestellt wird das Camp doppelt so groß sein wie Camp »Bondsteel« im Kosovo, bis dato eine der größten US-Basen in Übersee.

Insgesamt werden in der Region zur Zeit vierzehn Basen ausgebaut, die zusammen über 100000 Soldaten aufnehmen sollen. Diese permanent anwesenden Einheiten sollen längerfristig auch die militärische Basis der von dem renommierten konservativen US-Journalisten Krauthammer erwähnten »panarabischen Reformation« sein, jenem »Versuch, die Kultur des Mittleren Ostens als solche« zu ändern, d. h. die arabischen und islamischen Länder von Nordafrika bis zum Kaspischen Meer in prowestliche, neoliberale kapitalistische Staaten zu verwandeln.

Noch aber sind alle US-Kräfte im Irak gebunden. Von durchschnittlich mehr als 60 Angriffen täglich berichten die US-Kommandeure vor Ort, Teile des Landes sind seit langem der Kontrolle der US-Armee weitgehend entzogen. Weder mit breitgefächerten Großoffensiven noch mit massiven Angriffen auf mutmaßliche Hochburgen ihrer Gegner konnte die US-Armee den Widerstand schwächen. Er wurde im Gegenteil ständig stärker und militärisch effektiver. Der Aufbau einer US-geführten irakischen Armee bleibt zahlenmäßig weit hinter den Erwartungen zurück. Die Einsatzbereitschaft der neuen Polizei- und Armeeeinheiten ist schwach und deren tatsächliche Loyalität ungewiß. So war die erste Maßnahme der US-Truppen während ihrer Militäroffensive »Operation River Blitz« gegen den Widerstand in den Städten am Euphrat z. B., so der Christian Science Monitor, die Gefangennahme der Polizisten der Stadt.


Der verdeckte Krieg

Nach wie vor sind sich die Besatzer über die Stärke und Organisation ihres Gegners weitgehend im unklaren. Nach Schätzungen von General Muhammed Schahwani, dem von Paul Bremer eingesetzten Chef des neuen irakischen Geheimdienstes, stehen ihnen 40000 »Hardcore-Kämpfer« gegenüber, unter-stützt von 150000 Irakerinnen und Irakern, die als »Teilzeitguerillakämpfer«, Kundschafter und logistisches Personal arbeiteten. Diese können, so Schahwani, auch auf Unterstützung oder Duldung durch große Teile der Bevölkerung zählen. Schahwani war bereits unter Saddam Hussein Geheimdienstchef, bevor er das Land verließ und sich Ijad Allawis National Accord anschloß.

Auch die US-Administration hat erkannt, daß ihre Truppen im Irak einem fest in der Bevölkerung verankerten Widerstand gegenüberstehen. Sie setzt daher zunehmend auf einen verdeckten, »schmutzigen« Krieg. Bereits im Dezember 2003 enthüllte der US-Journalist und Pulitzerpreisträger Seymour Hersh entsprechende Programme der US-Regierung, die Geheimdienstexperten an die »Operation Phönix« in Vietnam erinnern. Das Pentagon bezeichnet einem Artikel der US-Zeitschrift Newsweek zufolge die diesbezüglichen Pläne lieber als die »Salvador Option« – in Anknüpfung an die erfolgreichere Anwendung bzw. des Einsatzes von staatlichem Terror, Folter und Todesschwadronen gegen oppositionelle Kräfte in Mittelamerika.1

Wie Hersh herausgefunden hatte, war schon im Herbst 2003 mit Hilfe von israelischen Experten mit der Ausbildung von Spezialeinheiten zur gezielten Liquidierung von Besatzungsgegnern begonnen worden; sie dürften mittlerweile längst im Einsatz sein.2 Hinzu kommt der massive Einsatz von privaten Söldnern, die keiner Kontrolle unterliegen, darunter viele frühere Geheimdienstoffiziere und ehemalige Angehörige von Sondereinheiten der Armee.

Für Peter Maass von der New York Times steht nach seinen Recherchen vor Ort auch fest, daß die Vorlage für den heutigen Irak nicht Vietnam, sondern El Salvador ist, wo ab 1980 eine rechtsgerichtete Diktatur mit US-Unterstützung eine linksgerichtete Befreiungsbewegung bekämpfte. Über 70000 Menschen wurden in dem zwölfjährigen Krieg getötet, die meisten von ihnen Zivilisten.3 Im Irak entsteht aber eher eine Mischung aus beidem, denn Maas übersieht, daß Irak nach wie vor ein militärisch besetztes Land ist, in dem sich 140000 US-Soldaten im direkten Einsatz gegen eine Widerstandsbewegung befinden, welche sich in erster Linie gegen diese Besatzung wendet.

Der verdeckte Krieg soll im wesentlichen von den verbündeten Irakern selbst geführt werden. Ijad Allawi hat hierfür in seiner Amtszeit als Chef der Übergangsregierung u. a. mit Kriegsrecht und dem Aufbau eines neuen »Sicherheitsapparates« die entscheidende Vorarbeit geleistet. Vieles davon verrät die Handschrift von US-Botschafter John Negroponte, der als Botschafter in Honduras auch in Mittelamerika die Fäden zog und eine Reihe von »Beratern« mit einschlägigen Erfahrungen aus dieser Zeit in die Ministerien entsandt hat.


»Special Police Commandos«

Unmittelbar nach seinem Amtsantritt hatte Allawi mit dem Aufbau einer Geheimpolizei begonnen, die als Speerspitze bei der Aufstandsbekämpfung fungieren soll. Als Sicherheitsberater, der den Aufbau des neuen »allgemeinen Sicherheitsdirektorats« (General Security Directorate, GSD) unterstützen sollte, ernannte er den Generalmajor Adnan Thavit al Samarra’i, ein ehemaliger hoher Geheimdienstoffizier Saddam Husseins, der sich an Allawis gescheitertem Putschversuch 1996 beteiligt hatte.

Scheinbar über Nacht traten bald darauf neue paramilitärische Einheiten in Erscheinung, die ebenfalls mit der »Salvador Option« in Verbindung gebracht werden und stark an die rechten Paramilitärs in Kolumbien erinnern. Mittlerweise agieren mindestens sechs dieser vom US-Militär »Pop-Ups« genannten Milizen, verteilt über den gesamten Irak. Die relativ gut bezahlten Kämpfer kommen überwiegend aus den Sicherheitsdiensten und Sondereinheiten der Armee des alten Regimes und haben den Korpsgeist und die Disziplin, die die USA bei den regulären irakischen Militär- und Polizeikräften so sehr vermissen.

Die stärkste dieser schwerbewaffneten Milizen, die »Special Police Commandos«, besteht aus 5000 bis 10000 Kämpfern. Sie waren u. a. im letzten Oktober am Angriff auf Samarra beteiligt, der als Probelauf für den Sturm auf Falludscha galt. Die »Commandos« agieren z. B. aber auch in Mosul, Ramadi und weiteren Zentren des Widerstands. Ihr Kommandeur ist der oben erwähnte Sicherheitsberater Adnan Thavit, einer der engsten Verbündeten Allawis und Onkel des bisherigen Innenministers Falah Al Naqib. Nach eigenen Angaben handelt es sich bei seinen Leuten um Polizeikräfte, die bereits früher »Erfahrungen im Kampf gegen Terrorismus« sammeln konnten sowie um Leute, die unter dem früheren Regime ein spezielles Training erhalten hatten.

Mindestens zwei weitere dieser Milizen, die Muthana-Brigade und die »Defenders of Khadamiya«, stehen in direkter Verbindung zu Allawi. Sie erhalten mittlerweile alle massive Unterstützung vom Pentagon. Die Gesamtstärke dieser neuen irregulären Brigaden, die von den US-Kommandeuren als neue Avantgarde im Kampf gegen den Aufstand betrachtet werden, wird auf über 15000 Mann geschätzt. Da die Loyalität der Milizionäre aber ihren jeweiligen Führern und nicht der Besatzungsmacht gilt, hat sich das Pentagon hier neue Warlords herangezüchtet.

Der Name »Pop-Ups« ist jedoch irreführend. Die Milizen schossen nicht über Nacht aus dem Boden. Erste Pläne zur Schaffung solcher Einheiten wurden bereits Ende 2003 bei Treffen zwischen CIA und Allawi geschmiedet und gehörten somit zum nichtöffentlichen Teil des damals beschlossenen »Übergangskonzeptes«. Allawi hatte den Aufbau solcher »Polizei-Spezialeinheiten« noch vor seinem Amtsantritt angekündigt.

Einheiten der US Marines unterhalten ihre eigenen Milizen, u. a. die »Iraqi Freedom Guard« und die »Freedom Fighters«. Sie setzen sich vorwiegend aus radikalen Schiiten aus dem Süden zusammen und wurden in Operationen der Marines in der Al-Anbar-Provinz, einem der Zentren der Gegenwehr gegen sunnitische Widerstandskämpfer, eingesetzt.


Todesschwadronen

Aufgrund von Äußerungen General Wayne Downings, des nun in Ruhestand gegangenen früheren Chefs aller Sondereinsatzkräfte der USA, ist davon auszugehen, daß im Rahmen dieser neuen Kommandos auch Todesschwadronen agieren. In einem Fernsehinterview hatte Downing den Einsatz solcher paramilitärischen Einheiten in El Salvador als zulässige und nützliche Taktik bezeichnet und ergänzt, daß die USA nun auch »Special Police Commandos« im Irak hätten, die »diese Art von Angriffsoperationen durchführen«. Eine ganze Reihe bekannter Vorfälle stützen diese Aussage.

Belegt ist jedenfalls, mit welcher Brutalität diese Sonderbrigaden gegen Verdächtige vorgehen. Der bereits erwähnte Peter Maass wurde selbst mehrfach Augenzeuge schwerer Mißhandlungen von Verdächtigen durch Thavits »Commandos«, die stets von einer kleineren US-Einheit begleitet werden, und er hörte Berichte von US-Soldaten über brutale Folter in den Gefängnissen.4

Die US-Armee versucht, die Brutalität als Folge irakischer »Tradition« hinzustellen, die sie abzumildern sucht. Dagegen spricht, daß führende »US-Berater« der Milizen über langjährige einschlägige Erfahrungen aus Mittelamerika verfügen. Unmittelbar am Aufbau und Einsatz der neuen Milizen beteiligt ist z. B. James Steele, der in den 80er Jahren in El Salvador als Chef einer Sondereinheit des US-Militärs die dortigen Todesschwadronen der Regierung »beriet«. Eine ähnliche Karriere hat Steve Casteel, »Berater« im irakischen »Innenministerium«, der sich den größten Teil seines bisherigen Berufslebens im schmutzigen Drogen- und Antiguerillakrieg in Peru, Bolivien und Kolumbien engagierte.

»Indem die Medien die Wahlen als Triumph der Bush-Administration darstellten«, so US-Ökonom und Medienkritiker Edward S. Herman, »und damit, wie in den früheren vietnamesischen und salvadorianischen Wahlen, teilweise als Rechtfertigung für Aggression und Besatzung (aggression-occupation), geben sie der Regierung freiere Hand.« Sie werde »zuerst ihr Programm der Befriedung durch Gewalt intensivieren, um den Aufstand zu marginalisieren und den Boden für die Herrschaft der Gruppen zu bereiten, die den Invasoren/Besatzern zutiefst verpflichtet sind«, so Herman weiter. Wie Seymour Hersh in »We’ve Been Taken Over By a Cult«5 aufgezeigt habe, »hat die Regierung ihre Bombenangriffe Monat für Monat stetig eskaliert und so den ganzen Irak in eine ›Feuer-frei-Zone‹ verwandelt – ... ›Triff alles, töte jeden‹ – nahezu unberichtet in den Medien, und wir können sicherlich noch mehr dieser Art erwarten.«6


1 »›The Salvador Option‹ – The Pentagon may put Special-Forces-led assas-sination or kidnapping teams in Iraq«, Newsweek, 8.1.2005
2 siehe J. Guilliard, »Irak: Wirtschaftlicher Ausverkauf und neokoloniale Dikta-tur«, Marxistische Blätter 1/2004
3 Peter Maass, »The Way of the Commandos«, New York Times, 1.5.2005
4 Peter Maass, a.a.O.
5 Seymour Hersh, »We’ve Been Taken Over By a Cult«, CounterPunch, 27.1. 2005
6 Edward S. Herman, »The Election In Iraq: The US Propaganda System Is Still Working In High Gear«, Znet, 13.2.2005

* weiterführende Literatur:

- J. Guilliard »Im Treibsand Iraks«, IMI-Studie 2004/03
- Phyllis Bennis, »Reading the Elections«, Institute for Policy Studies, 2. 2.2005.

junge Welt vom 19.5.2005

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