»Stirb an einem anderen Tag«

Die geistige Mobilmachung in den USA gegen Nordkorea hat erst begonnen. Scharfmacher mit liberalen Feigenblättern

Für die aktuelle Zurückhaltung der US-Regierung gegenüber Nordkorea gibt es neben der Weigerung Seouls und Pekings, Druck auf Pjöngjang auszuüben, noch einen weiteren Grund. Für einen Krieg muß auch im eigenen Land zuerst ausreichend Stimmung gemacht werden. Damit haben die rechten Unterstützer von US-Präsident George Bush gerade erst begonnen.

Wie die New York Times unter Berufung auf das Umfeld des US-Präsidenten berichtete, las Bush in diesem Frühjahr auf Empfehlung Henry Kissingers »Die Aquarien von Pjöngjang« von Kang Chol Hwan. Kang berichtet darin von seinen Erfahrungen im Arbeitslager Yodok, in dem er zehn Jahre seiner Kindheit verbrachte. In Nordkorea gilt Sippenhaftung – analog zur Vorstellung von der Familie als Kern der Gesellschaft. Die gegenseitige Unterstützung durch Familienangehörige sorgt dafür, daß viele die Strapazen der Gefangenschaft überleben. Richtig gelesen zeigt Kangs Buch, daß den Gefangenen viel Raum zur Improvisation gelassen wird. So brannte etwa sein Onkel, der lange Jahre in einer Brauerei gearbeitet hatte, nach kurzer Zeit seinen eigenen Schnaps, was ihm große Vorteile verschaffte. Zudem wird deutlich, daß der Aufenthalt in einem Arbeitslager den Gefangenen nach der Freilassung weder den Umzug in die Nähe der Hauptstadt verbaut noch ein Hindernis für den Besuch einer Hochschule darstellt.


Rechte Einpeitscher

Davon wird nicht die Rede sein, wenn Kang im Juli nach Washington kommt, denn seine Gastgeber setzen nicht auf eine differenzierte Darstellung. Danach wollen ihn evangelikale Christen auf US-Tour schicken. Mit im Programm: eine Ansprache beim Musikfestival »Rock the Desert« in Bushs Heimatort Midland, Texas. Für die »Menschenrechte in Nordkorea« engagiert sich nahezu die gesamte erste Liga des christlichen Fundamentalismus in den USA. In der North Korea Freedom Coalition (NKFC) finden sich neben obskuren Exilantengruppen und der Heilsarmee die National Association of Evangelicals, die schwulenfeindliche American Family Association, die vom Fernsehprediger Pat Robertson gegründete Christian Coalition, die rechte Denkfabrik Defense Forum Foundation und Helping Hands Korea, ein Ableger der Sekte Children of God, die heute unter dem Namen The Family firmiert.

Bedauerlicherweise ebenfalls dabei: das Simon Wiesenthal Center. „Wo bleibt der weltweite Aufschrei?«, fragte dessen stellvertretender Direktor, Abraham Cooper, am 6. Juni in der Süddeutschen Zeitung. Staatsfeinde würden in Nordkorea für Experimente mißbraucht, um neue Generationen chemischer und biologischer Waffen zu entwickeln. Einzige Quelle: nordkoreanische Überläufer, die in der Vergangenheit zu jeder Aussage bereit waren, die in Seoul gerade benötigt wurde. Cooper bringt die angebliche »Vergasung politischer Gefangener« in Nordkorea sogleich in Beziehung mit dem Massenmord an den europäischen Juden. Auch dieser sei von den Medien zunächst ignoriert worden. Zugleich liefert er mit »geschätzte 200000« einen neuen Rekordwert für die Zahl der politischen Gefangenen in der Demokratischen Volksrepublik Korea. Wer diese Schätzung abgegeben hat, läßt Cooper offen. Neben dem Wiesenthal- Center dient die Commission on Social Action of Reform Judaism den in der NKFC versammelten Bush-Kriegern als liberales Feigenblatt.


Realitäten ignoriert

Da spielt es keine Rolle, daß Nordkoreas Staatschef Kim Jong Il soeben im Gespräch mit dem südkoreanischen Wiedervereinigungsminister Chung Dong Young die Wiederaufnahme der Sechsergespräche (mit China, Japan, Rußland, Südkorea und den USA) über das Atomprogramm seines Landes bereits für Juli in Aussicht gestellt hat. Chung hatte dies nach seiner Rückkehr von den Feierlichkeiten zum fünften Jahrestag des Gipfeltreffens zwischen Kim Jong Il und Kim Dae Jung am Wochenende mitgeteilt, das die »Sonnenscheinpolitik« des Südens gegenüber dem Norden einläutete. Anders als etwa gegenüber China oder Südafrika zur Zeit der Apartheid ist »Wandel durch Handel« im Fall Nordkorea für die US-Rechte kein Thema. Ihr bisher größter Sieg: der »North Korea Human Rights Act«, den der US-Kongreß im Oktober vergangenen Jahres verabschiedete. Durch das Gesetz wurden weitere Mittel für die psychologische Kriegsführung gegen die Volksrepublik zur Verfügung gestellt.

So ist auch auf der Ebene der Popkultur viel passiert, seit James Bond vor zwei Jahren in »Die Another Day« einem nordkoreanischen Offizier, der sich in den Besitz von Massenvernichtungswaffen bringen wollte, den Garaus machte. Der Atomreaktor von Yongbyon ist zum beliebten Angriffsziel für Computerspiel-Piloten geworden. Kim Jong Il hat sich als Bösewicht in Hollywood etabliert.

Inzwischen sehen die US-Amerikaner Meinungsumfragen zufolge abwechselnd Iran und Nordkorea als größte Bedrohung. Trotzdem sprachen sich in der letzten Gallup-Umfrage aber 62 Prozent der Befragten gegen ein militärisches Vorgehen in Nordkorea aus. Die geistige Mobilmachung hat, wie gesagt, eben erst begonnen.

Josef Oberländer, Seoul

junge Welt vom 20.6.2005

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