Wahltermin erneut auf der Kippe

Afghanistan als »zweites Irak«? Der Widerstand gegen US-Besatzungs-truppen und deren afghanische Verbündete wächst

Der Kampf um Afghanistan ist mit neuer Intensität entbrannt. Gerade drei Monate ist es her, da wurde das besetzte Land von Washington noch als Musterbeispiel verkauft für erfolgreiches »Nation-Building« – von US-Gnaden, war gemeint. Inzwischen gibt es fast täglich Meldungen über Gefechte, Entführungen, Exekutionen. Das Wiedererstarken der Taliban und anderer Widerstandsgruppen hätte zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt kommen können, gerade einmal zehn Wochen vor der bereits mehrfach verschobenen sogenannten Parlamentswahl, die nun für den 18. September vorgesehen ist. Der erste Abschuß eines US-Hubschraubers mit 17 Soldaten an Bord vor einer Woche und der Verlust einer Kampfgruppe im Osten des Landes nähren die Sorge der Besatzungstruppen, daß sich Afghanistan zu einem zweiten Irak entwickeln könnte.

Am Wochenende setzte die US-Army erstmals wieder seit langem massiv Kampfflugzeuge ein. Diese bombardierten ein Gebiet, in dem sich Taliban-Kämpfer versteckt haben sollen und in dem die vermißten US-Soldaten vermutet werden. Von den gesuchten Männern fehle bislang jede Spur, sagte Militär-sprecher Jerry O’Hara. Es handelt sich um ein kleines Team von Elitesoldaten, das in der Region an der Grenze zu Pakistan im Einsatz war.

Derweil lieferten sich in der Bergwelt im Zentrum des Landes Hunderte der von den Besatzern ausgebildeten afghanischen Soldaten erbitterte Gefechte mit Taliban-Kämpfern. 25 Rebellen und sechs Soldaten seien dabei am Samstag getötet worden, verlautete aus Kabul. Die Truppen griffen ein Lager der Aufständischen in Charchino in der Provinz Urusgan an. Am Samstag suchten die Soldaten nach etwa hundert Rebellen, denen zunächst die Flucht gelungen war. »Es sind noch zahlreiche Taliban dort draußen. Wir werden sie fangen oder töten«, sagte der Gouverneur von Urusgan, Jan Mohammed Chan. Schon in den Tagen zuvor hatten Gefechte in der Region 25 Menschen das Leben gekostet. In der Provinz Paktia wurde ein Bombenanschlag auf einen Autokonvoi verübt. Vier Polizisten wurden getötet, ein Polizeichef und ein weiterer Mann wurden verletzt, wie Gouverneur Gulab Schah Mungal erklärte. Zu dem Konvoi gehörten auch Wagen der Vereinten Nationen.

Zusätzlich zu den Kämpfen steigt auch die Kriminalität. Erst vor wenigen Wochen wurde eine Italienerin in Kabul entführt, um Gefälligkeiten von der Regierung zu erpressen. Der Opiumhandel nimmt zu, und Afghanistan ist auf bestem Wege, ein Drogenstaat zu werden. Und auch der Widerstand großer Teile der Bevölkerung gegen die US-Truppen wächst. Nach Berichten über Koranschändungen in Guantanamo kam es im Mai zu blutigen Auseinandersetzungen mit mehreren Toten.

Tatsächlich wurden nach offiziellen Angaben in den vergangenen Monaten so viele Menschen wie lange nicht getötet: fast 500 mutmaßliche Rebellen, 134 Zivilpersonen, 47 »Sicherheitskräfte« und 45 US-Besatzungssoldaten. Dabei ist völlig offen, über wie viele Kämpfer die Taliban und andere Gruppen verfügen. Durch den wachsenden Widerstand gerät auch der Plan der Besatzer und ihrer Regierung immer stärker unter Druck, im September wählen zu lassen. Die NATO hat angekündigt, mit 3000 zusätzlichen Soldaten die Wahl abzusichern. Präsident Hamid Karsai versetzte die lokalen Polizeikräfte in Alarmbereitschaft, um für Attacken gerüstet zu sein.

Wie es ansonsten um die Vorbereitung der »demokratischen Wahlen« bestellt ist, verdeutlichte am Samstag die nationale Wahlkommission. Sie schloß 200 Bewerber für eine Kandidatur aus. Diese hätten Verbindungen zu bewaffneten Gruppen, verlautete aus Kabul.

Raoul Wilsterer

junge Welt vom 4.7.2005

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