Anklage gegen Folterer

Kompaniechef und 17 Unteroffiziere der Bundeswehr aus dem westfälischen Coesfeld müssen sich vor dem Landgericht Münster verantworten

Im Skandal um Mißhandlungen von Bundeswehr-Rekruten im westfälischen Coesfeld hat die Staatsanwaltschaft am Montag beim Landgericht Münster Anklage gegen den Kompaniechef und 17 Unteroffiziere erhoben. Sie sollen 163 Rekruten bei vier Marschübungen mit Schwachstrom, Wasser und Schlägen gefoltert haben. Die Vorwürfe gegen die Ausbilder der Coesfelder Freiherr-vom-Stein-Kaserne waren Ende Oktober 2004 bekanntgeworden. Sie sollen ihre Untergebenen bei simulierten Geiselnahmen gequält haben. Laut Aussagen wurden die Rekruten überfallen, gefesselt, und es wurde ihnen Wasser in Mund und Hosen gepumpt. Später seien Schläge, Tritte und Schwachstromstöße hinzugekommen.

Insgesamt wurde gegen 38 Beschuldigte ermittelt. Gegen 20 Personen wurde das Verfahren aber abgetrennt. Es wird angenommen, daß die Staatsanwaltschaft das abgetrennte Verfahren wegen geringer Schuld der Beteiligten einstellen wird. Nach der Vernehmung von 290 Soldaten ergab sich laut einer Mitteilung der Polizei in Münster der Verdacht, daß mit »weitgehender Billigung« des Kompaniechefs im Rahmen der allgemeinen Grundausbildung »Übungsinhalte wie Gefangennahme und Geiselhaftbefragung« mit unzulässigen Methoden durchgeführt wurden. Einige der beteiligten Unteroffiziere hätten schon an Auslandseinsätzen der Bundeswehr teilgenommen oder seien zumindest dafür ausgebildet gewesen.

Die Beschuldigten haben mit Ausnahme des Kompaniechefs im Ermittlungsverfahren die Aussage verweigert. Ihnen droht eine Verurteilung wegen Mißhandlung (Paragraph 30 Wehrstrafgesetz) und entwürdigender Behandlung (Paragraph 31 WStG) sowie wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß Paragraph 224 StGB. Darauf stehen Freiheitsstrafen von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Wann die Hauptverhandlung vor der 8. Großen Strafkammer des Landgerichts Münster stattfindet, steht noch nicht fest. Nach Angaben des Heerestruppenkommandos in Koblenz soll nach einem rechtskräftigen Urteil ein Truppendienstgericht über disziplinarische Schritte entscheiden. Das mögliche Strafmaß reiche vom Verweis bis zur Entlassung, sagte der Sprecher des Kommandos, Withold Pieta, am Dienstag.

Der Vertreter der Anklagebehörde, Oberstaatsanwalt Wolfgang Schweer, erklärte am selben Tag, die Übungen seien in Inhalt und Form absolut aus dem Ruder gelaufen. »Ich denke, das Problem liegt in der Führung der Kompanie«, so Schweer. Diese Betrachtungsweise unterstützt die Absicht des Bundesverteidigungsministeriums, den Skandal von Coesfeld als Einzelfall hinzustellen. Dabei wird ausgeblendet, daß das Verhalten der jetzt angeklagten Ausbilder auf eine allgemeine Tendenz zur Verrohung aufgrund der Militarisierung der deutschen Politik zurückgeht. Ganz offenkundig haben sich die Ausbilder bei ihrem entwürdigenden Verhalten an US-amerikanischen Vorbildern orientiert. Guantanamo und Abu Ghraib entfalten eine verheerende Fernwirkung. In den Köpfen junger Soldaten scheint sich festzusetzen, daß ein Verhalten, dessen sich die befreundete Supermacht USA befleißigt, nicht so schlimm sein kann.

Hinzu kommt die ständige Relativierung der Grundrechte durch die SPD-Grünen-Bundesregierung in den vergangenen Jahren. Meist unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung wurden durch die Gesetzespakete Schily I und II, zu Lauschangriff und DNA-Speicherung die Bürgerrechte systematisch eingeschränkt. Damit geht einher, daß das allgemeine Bewußtsein für diese Grundwerte schwindet. Speziell die Debatte nach der Ermordung des Bankierssohns Jakob von Metzler in Frankfurt am Main hat gezeigt, wie schnell Politiker, Juristen und andere Personen des öffentlichen Lebens zu einer Aufweichung des bisherigen absoluten Folterverbots bereit sind. So auch der Bundeswehr-Hochschulprofessor Michael Wolffssohn. Mittlerweile regt sich fast niemand mehr darüber auf, daß bereits drei (!) juristische Fachbücher zur Auslegung des Grundgesetzes Folter in bestimmten Fällen für zulässig halten. Daher ist Coesfeld kein Einzelfall, sondern Ausdruck einer gesellschaftlichen Entwicklung der Entsolidarisierung und des Verlusts an Humanität.

Ulla Jelpke

junge Welt vom 22.6.2005

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