Samstag, 18. Juni 2005

Ausgekegelt

Der Melzer Verlag stellte in Berlin einen Sammelband vor, der dem Kriegsgegner Albert Einstein gewidmet ist

Präsentiert werden sollte ein Buch, vorgestellt wurde ein Programm – der Name Einstein ist ein Synonym für Unversöhnlichkeit mit Militarismus und Kriegszügen, speziell deutschen. Reiner Braun hat zusammen mit David Krieger den Smmelband »Albert Einstein – Frieden heute. Visionen und Ideen« herausgegeben, mit Beiträgen von Politikern und Wissenschaftlern, darunter zahlreichen Nobelpreisträgern. Braun schreibt einleitend: »Sein Leben lang blieb Einstein seinen Prinzipien treu: als Jugendlicher, der alles tat, den verhaßten Militärdienst zu verweigern, als – gerade wenige Monate an der Preußischen Akademie der Wissenschaften tätiger – junger Mann, der durch die Unterzeichnung des ›Aufrufes an die Europäer‹ den Ersten Weltkrieg verurteilte und besonders den preußischen Militarismus angriff (...) Einstein engagierte sich weltweit für die Kriegsdienstverweigerer, war ein unermüdlicher Warner und stritt für atomare Abrüstung.« Braun zitiert aus dem im Band abgedruckten »Russell-Einstein-Manifest« von 1955: »Im Hinblick darauf, daß in einem zukünftigen Krieg ohne jeden Zweifel Kernwaffen angewandt würden und daß diese Waffen den Fortbestand der Menschheit gefährden, ersuchen wir nachdrücklich die Regierungen der Welt, zu erkennen und öffentlich zu bekennen, daß sie ihre Ziele nicht durch einen Weltkrieg erreichen können, und wir ersuchen sie dringlichst darum, friedliche Mittel der Lösung für alle zwischen ihnen bestehenden Konflikte ausfindig zu machen.«

Die Sätze sind hochaktuell: Die nukleare Planungsgruppe der NATO beschloß vor wenigen Tagen, weiterhin Nuklearwaffen in Deutschland bereitzuhalten. Bei der Buchvorstellung am Mittwoch im Berliner Kronprizessinnen-palais, dem Ort der Einstein-Ausstellung, wies Willy Wimmer, ehemals Staatssekretär im Bundesverteidigungs-ministerium und CDU-Bundestagsabgeordneter, auf den gefährlichen Hintergrund solcher Entscheidungen hin. Im Kalten Krieg sei ein System von »Diplomatie und militärischem Rückgrat« erarbeitet worden, das vor einer militärischen Auseinandersetzung zwischen Ost und West bewahrt habe. Der Entspannungsansatz habe zu Beginn der »unglückseligen 90er Jahre« noch existiert, China sei Mitte des Jahrzehnts bereit gewesen, auf Abrüstung und ein allgemeines Sicherheitssystem einzugehen. Der Jugoslawien-Krieg habe aber eine neue Situation geschaffen: »Wir kriegen eine neue Ordnung ausgekegelt.« Systematisch sei das Scheitern des vorhandenen friedenspolitischen Ansatzes herbeigeführt worden. Wimmer konstatierte: »Wir brauchen Mut, um zu Einstein zu stehen.«

In einem auf der Veranstaltung verlesenen Text von Verleger Abraham Melzer, der wegen Krankheit nicht teilnehmen konnte, hob dieser hervor, daß Einstein auch zum Nahostkonflikt eine Position vertreten habe, die erst wieder erreicht werden müsse. Einstein habe »lange vor Gründung des Staates Israel und vor dem offenen Ausbruch von Feindseligkeiten zwischen Juden und Arabern« betont, »friedliche Zusammenarbeit zwischen beiden Völkern sei die Voraussetzung einer gesunden Entwicklung des jüdischen Heims in Palästina«.

Engagement von Wissenschaftlern und Wissenschaft für Frieden, Abschaffung der Atomwaffen und Lösung des Palästinakonflikts sind nach den Worten des Herausgebers entscheidende Aspekte der Beiträge des Bandes – eine höchst notwendige Erinnerung an politische Vernunft.

Arnold Schölzel

* Reiner Braun/David Krieger: Albert Einstein – Frieden heute. Visionen und Ideen. Melzer Verlag, Neu Isenburg 2005, 333 Seiten, 19,95 Euro

junge Welt vom 17.6.2005

siehe auch: Verlagstext und Inhaltsverzeichnis

Monatelang gedemütigt und gequält

US-Magazin veröffentlichte geheimes Folterprotokoll aus Gefangenen-lager Guantánamo. Pentagon verteidigt »bewährte Befragungsansätze«

Der Senat in Washington muß sich am morgigen Mittwoch mit einem neuen Fall von Folter im US-Militärgefangenenlager Guantánamo befassen. Hintergrund ist ein Bericht in der jüngsten Ausgabe des US-Magazins Time, in dem die Gefangenenmißhandlung als alltägliche Lagerpraxis angeprangert wird. Das Blatt berichtete am Sonntag unter Berufung auf das streng geheime Logbuch über das »Verhör« des Gefangenen Nr. 063. US-Soldaten hatten demnach den saudiarabischen Gefangenen Mohammed Al Kahtani über Monate hinweg gedemütigt und gequält, bis er schließlich gestanden habe, der Terror-organisation Al Qaida anzugehören. Das Pentagon dementierte keinen der Vorwürfe, sondern sprach von »bewährten und überwachten Befragungs-ansätzen«. Zahlreiche US-Senatoren reagierten unterdessen entsetzt über den jüngsten Folterreport.

In dem 84 Seiten umfassenden Geheimprotokoll sind die verschiedenen »Verhörmethoden« minutiös fesgehalten. US-Soldaten hatten den Mann unter anderem nackt ausgezogen, ihm Pornobilder um den Hals gehängt und ihm befohlen, wie ein Hund zu bellen. Einmal hätten die »Verhörexperten« den Moslem auf den Boden gelegt, und eine Soldatin habe sich über ihn gekniet. Als Kahtani versucht habe, die Frau von sich wegzustoßen, hätten die Militärs ihn festgehalten. Als er aus Protest gegen die Mißhandlungen in Hungerstreik trat, wurden ihm durch eine Kanüle im Arm große Mengen Flüssigkeit eingeflößt; anschließend durfte er nicht auf die Toilette gehen, so daß er in die Hose urinieren mußte.

Die täglichen Vernehmungen Kahtanis begannen den Angaben zufolge bereits um vier Uhr morgens und hörten erst um Mitternacht auf. In den Verhörpausen sei er mittels lauter Popmusik am Schlafen gehindert worden. Die Tortur dauerte von November 2002 bis Januar 2003.

Laut Time hat US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld in jener Zeit persönlich 16 zusätzliche Verhörtechniken für bestimmte Gefangene wie Kahtani bewilligt. Dazu gehörten das lange Stehen in schmerzhaften, sogenannten Streßpositionen, bis zu 30 Tagen komplette Isolation sowie sexuelle Erniedrigungen.

Rainer Rupp

junge Welt vom 14.6.2005

Blair wollte Angriff auf Irak »legal« machen

Geheimdokument enthüllt Londons Bemühungen, den Krieg als rechtmäßig darzustellen

Bereits im Juli 2002 informierte Britanniens Premier Tony Blair die Minister in seinem Kabinett darüber, daß er sich »dazu verpflichtet« hatte, am Irak-Krieg teilzunehmen. Deshalb hätten seine Minister »keine andere Wahl als einen Weg zu finden, um ihn (den Krieg) legal zu machen«. Das berichtete am Sonntag die renommierte britische Sunday Times. Der Zeitung sei ein Regierungsdokument über das Treffen Blairs mit seinen Kabinettsministern am 23. Juli 2002 zugespielt worden. Dieses beweist, daß sich die britische Regierung des beabsichtigten Kriegsverbrechens voll bewußt war: Unterstrichen wird darin, daß auf Grundlage des Völkerrechts ein Krieg zur Herbeiführung eines Regimewechsels illegal ist. Deshalb sei es »notwendig, die Bedingungen zu schaffen«, um ihn legal zu machen.

Eine diesbezügliche Argumentation müsse selbst dann entwickelt werden, wenn sich die Minister gegen eine direkte britische Beteiligung am Krieg aussprechen würden. Schließlich würde das US-amerikanische Militär für den Angriff auf Irak britische Basen benutzen und damit Großbritannien automatisch zum Komplizen jedweder illegalen US-Operation machen. Deshalb sei die »Legalität des Krieges auf jeden Fall von großer Bedeutung, egal für welche Option sich die Minister in bezug auf eine britische Beteiligung entscheiden«.

Als Möglichkeit zur Rechtfertigung einer Invasion wurde vorgeschlagen, Saddam Hussein in eine Position zu drängen, in der er ein Ultimatum der Vereinten Nationen zur Zusammenarbeit mit den Waffeninspektoren ablehnt. »Es könnte gelingen, ein Ultimatum so zu stellen, daß Saddam zurückweisen würde«, heißt es in dem Dokument. Doch wenn er tatsächlich das Ultimatum akzeptierte, würde es »höchst unwahrscheinlich« werden, die legale Rechtfertigung für den Krieg zu bekommen.

Das Dokument aus dem britischen Kabinett belegt unzweifelhaft, daß sich die beiden Kriegsherren in Washington und London nur deshalb an die Vereinten Nationen gewandt haben, um diese zwecks Legalisierung ihres Krieg zu instrumentalisieren – und nicht etwa, »um den Krieg zu verhindern«, wie beide behaupteten.

Rainer Rupp

junge Welt vom 13.6.2005

Star Wars auch in Europa?

Sternenkriegsrenaissance in den USA
und EU-Beteiligung an der Militarisierung des Weltraums


Den Begriff »Star Wars« – Krieg der Sterne – hörte ich zum ersten Mal 1976 in Los Angeles. Dort tagte im Convention Center von Anaheim der Kongreß der Internationalen Astronautischen Föderation, auf dem Kosmosforscher und Raketentechniker von fünf Kontinenten über die friedliche Erforschung und Nutzung des Weltraums berieten. Kurz zuvor war beim Verlag Ballantine Books in New York der Science-Fiction-Roman »Star Wars« von George Lucas erschienen und machte als Bestseller Furore. Der danach vom Autor gedrehte gleichnamige Film hatte am 1. August 1977 in Hollywoods Uraufführungskino »Chinese Theater« Premiere. Bis 1982 folgten zwei weitere Streifen der Trilogie über Schlachten im Weltraum, die einschließlich der Reklameverwertung fünf Milliarden Dollar einspielte – mehr als die damaligen Kassenschlager »Der weiße Hai« und »Der Pate« zusammen.

»Reagan-Schirm« mit Löchern

Dem »Großen Kommunikator«, wie Journalisten US-Präsident Ronald Reagan titulierten, kam das Leinwandspektakel gerade recht. Er nutzte die durch die Hollywood-Produktion erzeugte Massenhysterie fur die Popularisierung eines kosmischen Hochrüstungsprogramms.

Am 23. März 1983 forderte er in seiner berüchtigten »Star-Wars-Rede« ein mehrfach gestaffeltes weltraumgestütztes Raketenabwehrsystem, das später die offizielle Bezeichnung SDI (Strategic Defense Initiative – Strategische Vertei-digungsinitiative) erhielt.

Der 40. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika versprach seinen Landsleuten einen absolut sicheren Schutzschild gegen feindliche interkon-tinentale ballistische Raketen mit Nuklearsprengköpfen. Trotz Verschwendung von mehr als 130 Milliarden Dollar ließ sich dieser »Reagan-Schirm« jedoch bis heute nicht verwirklichen – er weist einfach viel zu viele große Löcher auf. Sinn und Zweck der illusorischen Ambition bestand und besteht darin, die USA zu befähigen‚ einen ungestraften atomaren Erstschlag gegen jeden beliebigen Feind zu führen. Wer jeweils der »Böse« ist, bestimmt natürlich der »Gute«, also Washington.

In Europa blieb es damals der »Eisernen Lady«, Margaret Thatcher, vorbehalten, am 6. Dezember 1985 für Großbritannien als erstem Land ein SDI-Abkommen mit den USA abzuschließen. Kurz darauf folgte die Regierung Helmut Kohl am 27. März 1986 mit gleich zwei Geheimabkommen: Das »Memorandum of Understanding« vereinbarte die Beteiligung von Firmen der BRD am SDI-Programm und das »Joint Understanding of Principles« legte die Grundsätze für den technologischen Austausch zwischen beiden Ländern fest. Einem westdeutschen Boulevardblatt, dem Kölner Express, gelang investigativer Journalismus. Unter der Schlagzeile »Der geheime SDI-Vertrag« veröffentlichte die Zeitung am 18. April 1986 den vollen Wortlaut der beiden Top-secret-Dokumente. Andere Publikationen wie die Frankfurter Rundschau und Der Spiegel – das, laut Eigenlob, »Sturmgeschütz der Demokratie« – hinkten hinterher, während die Verfassungsschützer sich auf die Suche nach der undichten Stelle im Staatsapparat machten.

Hollywood und Pentagon

Der Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert ist gekennzeichnet durch eine Renaissance des Krieges der Sterne in Hollywood und Washington. 1999 hatte »Star Wars – Episode 1: Die dunkle Bedrohung« Premiere. Ein Jahr später folgte der »Angriff der Klonkrieger«, und im Mai 2005 lief der dritte und letzte Streifen der zweiten Staffel, »Die Rache der Sith« weltweit in den Kinos an. Der virtuose Mix aus banaler Spielhandlung und raffinierter Tricktechnik eskalierte weiter. Mit erwarteten Gesamteinnahmen von zehn Milliarden Dollar wird alles bisherige, einschließlich des Welterfolgs »Titanic«, in den Schatten gestellt.

Das Timing zwischen den Filmemachern und den »Star Warri-ors« (Sternenkrieger), wie sich die Kriegsplaner selbst nennen, ist wiederum perfekt – ob nun bewußt oder unbewußt. Zeitgleich mit der ersten Episode von »Star Wars« erließ das Pentagon die »Directive 3100.10 Space Policy« zum Aufbau einer operativen Weltraumstreitmacht der USA. 2001 folgte der Rumsfeld-Report über »Gewaltanwendung im, aus und durch den Weltraum« und ein »War Game« (Kriegsspiel), das bisher größte Manöver der kosmischen Kriegsführung. Schließlich ordnete am 12. Dezember 2002 der 43. Präsident der USA, George W. Bush, der sich als »Enkel von Reagan« versteht, den Aufbau eines vielfach gestaffelten und zeitweilig weltraumgestützten Raketenabwehrsystems an, dessen Netz Nordamerika, Westeuropa, Japan und Australien umspannt. 53 Milliarden Dollar werden allein in den ersten fünf Jahren benötigt.

Trotz des Etikettenschwindels – NMD (National Missile Defense – Nationale Raketenabwehr) statt SDI – unterscheidet sich der neue Schutzschild der »Bush-Krieger« nur unwesentlich vom alten »Reagan-Schirm«. So sollen »Global Strike« (Globaler Schlag) genannte Präzisionswaffen innerhalb von 45 Minuten jeden beliebigen Punkt der Erde treffen. »Reds from God« (Knarren Gottes) wiederum heißen kosmische Geschosse aus Titan, Uran und Wolfram, die ihre Ziele wie Meteoriten durchschlagen. Die Süddeutsche Zeitung vom 3. September 2004 urteilte über die neuen Rüstungspläne ironisch: »Bisher können die USA nur eine feindliche Rakete im Flug abfangen, die sich an bestimmte Bedingungen hält. Sie muß langsamer als üblich fliegen, ihr Herkunftsort muß bekannt sein, sie muß ein künstlich verstärktes Radarsignal abstrahlen, und sie muß bei hellem Tageslicht heranrauschen.«

Söhne des Sternenkrieges

Zu Beginn des neuen Millenniums waren es keine rechten Regierungen, die in Europa als erste der neuen kosmischen Hochrüstung zustimmten. Vielmehr befürwortete der sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder schon 2001 eine Beteiligung der BRD an der umstrittenen Raketenabwehr NMD. Der »Genosse der Bosse« stellte einen »erheblichen Push« für die deutsche Wirtschaft in Aussicht und warnte: »Wer nicht mitmacht wird zweitklassig!« Damit argumentierte er wie sein geschmähter Vorgänger Kohl. Professor Richard Garwin, Forschungsdirektor von IBM und Rüstungsberater des Weißen Hauses, meinte zu dieser Fehleinschätzung: »Um da skeptisch zu sein, muß man kein Experte sein. Die USA sind an einem substantiellen Technologietransfer einfach nicht interessiert.«

Nach Enthüllungen der britischen Zeitung The Independent on Sunday erlaubte der Labour-Premier Anthony Blair im Mai 2004 seinem Kriegskumpanen Bush, heimlich bodengestützte Raketen des NMD-Systems in der Nähe des Radarzentrums Fylingdales in Nordengland zu stationieren. Damit bekannte sich Blair zu dem Programm, das von den US-Amerikanern als »Son of Star Wars« (Sohn des Sternenkrieges) bezeichnet wird.

Heimatschutz am Hindukusch

Ende April diesen Jahres stimmte der Haushaltsausschuß des Bundestags mit den Stimmen von SPD, Grünen und Union einer Beteiligung am Projekt MEADS (Medium Extended Air Defense System – Mittelstrecken-Luftverteidigungssystem) zu, das seit Mitte der neunziger Jahre angestrebt wird. MEADS soll in den USA und der BRD die 25 Jahre alte PATRIOT (Phased Array Tracking to Intercept of Target – Phasengesteuerte Bahnverfolgung bis zum Zielabfang) und in Italien die noch ältere Nike Hercules ablösen. Über die PATRIOT schrieb die Fachzeitschrift Planet Aerospace 1/2002, daß sie »größere Wirkung in den Medien als im Ziel selbst« habe. MEADS ist Teil des NMD und soll gemeinsam von den USA, der BRD und Italien bis 2013 entwickelt werden. Am 1. Juni unterzeichnete das Industriekonsortium MEADS International mit der NATO-Agentur NAMEADSMA einen entsprechenden Vertrag. Damit sicherten sich die drei Mitgliedsunternehmen des Konsortiums‚ Lockheed Martin aus den USA, EADS/LFK aus der BRD und MEDA aus Italien einen Auftrag von 3,4 Milliarden Dollar allein für die Entwicklung. Von diesem Auftrag entfallen gemäß dem Finanzierungsbeitrag der einzelnen Länder 58 Prozent auf die USA, 25 Prozent auf die BRD und 17 Prozent auf Italien. Die Entscheidungen der Staaten über die wesentlich teurere Beschaffung – Schätzungen belaufen sich auf 20 Milliarden Dollar – werden 2008 bzw. im Jahr darauf erwartet.

MEADS ist ein mobiles, bodengestütztes und luftverlegbares Endphasen-abwehrsystem gegen Hubschrauber, Flugzeuge, Marschflugkörper sowie Kurz- und Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von 1000 Kilometern. Erklärte Aufgaben des teuren Waffensystems sind der Schutz des eigenen Territoriums vor Feinden und Terroristen sowie die Sicherung der Truppen im Auslandseinsatz. Wie unsinnig ein »Heimatschutz« ist, beweist ein Zirkelschlag mit einem Radius von 1000 Kilometer um Berlin: weit und breit kein einziger Feind; nur NATO- und EU-Partner oder neutrale Länder wie Schweden, Schweiz und Österreich, im Nordosten die neuen baltischen Freunde und im Südosten die orangefarbene Ukraine. Wie aber sollen die MEADS-Laster mit den Raketencontainern Terroristen stoppen, deren individuelle Möglichkeiten grenzenlos sind? Derselbe Zirkel um Kabul geschlagen, wo nach Meinung von Peter Struck (SPD) die BRD am Hindukusch verteidigt wird, erfaßt allerdings »Problemstaaten« wie Iran und Pakistan, China und Indien. Doch Skeptiker meinen, daß MEADS völlig überfordert sei und bestenfalls Gebieten von mehreren zehn Kilometern Durchmesser als Endphaseabwehrsystem absichern kann.

Struck unter Druck

Minister Struck steht unter doppeltem Druck. Seine Kollegen in Washington und Rom drängen auf Finanzen und Termine; in der rot-grünen KoaIition werden die Zweifel am Wert des Waffensystems immer größer. 850 Millionen Euro Entwicklungskosten müssen schnell beschafft werden. Die Beschaffungskosten für zwölf bis 24 MEADS der Bundeswehr betragen mindestens 2,85 Milliarden Euro. Doch das sind nicht die einzigen Sorgen des Genossen Struck. In einem Interview mit der Fachzeitschrift Raumfahrt Concret 4/5/2003 erklärte er: »Die Bundesrepublik Deutschland ist neben dem trilateralen Programm MEADS in die NATO-Studien zur Realisierung eines NATO-weiten Luftverteidigungssystems, das auch zur Abwehr von ballistischen Flugkörpern geeignet sein soll, integriert. Auch auf dem Gebiet der bilateralen Zusammenarbeit ist die Bundesrepublik Deutschland aktiv. So soll in einer solchen Kooperation ein Sensor zur Früherkennung des Starts von ballistischen Raketen entwickelt werden ...«

Die Führungsfähigkeit der Bundeswehr, auch im erweiterten Aufgabenspektrum, erfordert weitreichende Führungsmittel, insbesondere Satellitenkommunikation. Über Kommunikationssatelliten, einem Netz von Bodenstationen unterschied-licher Größe und Leistungsfähigkeit sowie einem Führungs- und Kontrollelement werden deutsche Kontingente in den Einsatzgebieten geführt – z. B. SPOR, KFOR, EF, ISAF etc.

Ein Beispiel dafür ist die Satellitenkommunikationsanlage der Bundeswehr mit dem Kürzel SATCOMBw. Der Sofortbedarf wurde 2003 mit einer Basis-Plattform gedeckt. Ein Langfristprogramm soll in den kommenden Jahren die noch bestehenden Defizite beseitigen durch eigene Satelliten, höhere Übertragungs-kapazitäten, Rund-um-die Uhr-Betrieb und hochmobile Bodenstationen; denn nur »dies sichert die Einsatzfähigkeit deutscher Streitkräfte außerhalb Deutschlands«, so Verteidigungsminister Struck.

Neben solchen Mitteln der Befehlsübertragung via Weltraum werden auch militärische Aufklärungs-, Navigations- und Wettersatelliten gefordert, um die Auslandsspionage zu verstärken und die Treffsicherheit der Waffensysteme zu erhöhen. GMES (Global Monitoring for Environment and Security – weltweite Umwelt- und Sicherheitskontrolle) heißt eine 2000 gestartete Initiative im Rahmen der europäischen Forschungs- und Technologieprogramme. Bis 2008 sollen die nationalen Kapazitäten so vernetzt werden, daß die WEU unabhängig vom GPS (Global Positioning System – Weltweites Ortungssystem) der US-Navy ist.

Seit 1998 betreibt das Raumfahrtunternehmen ORB-System AG in Bremen die Technologiestudie SAR-Lupe (Synthetic Aperture Radar – Radar mit künstlicher Strahlöffnung), eines licht- und wetterunabhängigen elektronischen Aufklärungssatelliten mit einer Bodenauflösung von weniger als einem Meter. Am 1. Januar 2002 erteilte das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB) in Koblenz den Auftrag, zwischen 2005 und 2007 fünf dieser Himmelsspione zu starten sowie die dazugehörigen Bodenanlagen zu installieren. Die Dienstzeit des Systems wird mit zehn Jahren angegeben.

Rüstungsamt und Generalstab

»Nachdem bisher nur Frankreich eine nennenswerte militärische Raumfahrt hatte, entwickelt sich nun die europäische Ebene«, stellt Sven Knuth, Präsident der Mars Society Deutschland und Mitarbeiter von Jena Optronik, in derselben Ausgabe von Raumfahrt Concret fest, unter der Überschrift »Star Wars auch in Europa?« kommt er zu dem Ergebnis: »Neben der Raumfahrtpolitik kristallisiert sich langsam auch eine Sicherheitspolitik der Europäischen Union heraus, die EU ist auf dem Weg zu einem Militärbündnis.« Als Anzeichen dafür wertete der Autor folgende Aktivitäten:

– Vorbereitungen für die Gründung der EDRA (European Defense Research Agency – Europäisches Amt für Verteidigungforschung), einer »Europäischen DARPA« (Defense Advanced Research Project Agency – Agentur für fortge-schrittene Forschungsprojekte des Pentagon), in der die Rüstungbemühungen gebündelt werden.

– Einrichtung eines Militärkomitees beim Rat der EU, das die Planungs- und Auswertungskapazitäten der Teilnehmerländer für Einsätze koordiniert. Das Führungspersonal wird aus dem militärischen Stab rekrutiert, der ebenfalls beim Rat der EU angesiedelt ist. Die Diskussionen über ein militärisches Hauptquartier der EU sind im Gange.

– Arbeiten am ECAP (European Capability Action Plan – Einsatzplan für euro-päische Fähigkeiten) erwägen auch eigene Systeme zur Abwehr interkontinenta-ler ballistischer Raketen sowie eigene Trägerraketensysteme für militärische Raumflugkörper.

– Zwei EU-Einrichtungen, die von der Westeuropäischen Verteidigungsunion – ihrem militärischen Arm – übernommen wurden, unterstützen das Militär-komitee: das Institut für Sicherheitsfragen in Paris und das Satellitenzentrum Torrejon des Arduz östlich von Madrid. Sie dienen auch der Vorbereitung von Einsätzen der 60000 Mann starken EU-Eingreiftruppe. Auf El Hierro, der kleinsten Kanareninsel‚ gibt es eine Startrampe der USA für militärische Satelliten mit äquatorialen und polaren Umlaufbahnen.

Weltraum ohne Waffen

Im März 2005 empfahl eine Expertengruppe der EU den Sicherheitsanwendungen der Raumfahrt – sprich militärische Nutzung – höchste Priorität beizumessen. Nach dem Motto: »Global denken und lokal handeln« ... Die gegenwärtigen Auseinandersetzungen um eine Europäische Verfassung verdeutlichen auch den wachsenden Widerstand gegen eine Militarisierung auf der Erde und im Weltraum. Um einen neuen Rüstungswettlauf zu verhindern, fordern immer mehr Menschen »Space Without Weapons« (Weltraum ohne Waffen). Besorgte Wissenschaftler schlagen Schritte in drei Richtungen vor:

Erstens: Verbot von Stationierung und Einsatz aller Formen von Weltraumwaffen und Stärkung des UNO-Weltraumvertrages von 1967.

Zweitens: Verbot der Erprobung‚ Stationierung und des Einsatzes von Anti-Satellitenwaffen(ASAT) sowohl erdgestützt als auch weltraumgestützt.

Drittens: Einrichtung eines »Code of Conduct« (Regelkatalog) für friedens-erhaltende, nicht-offensive und nicht-aggressive Weltraumnutzung.

EADS, Rüstungskonzern Nummer eins in Europa

EADS: European Aeronautic Defense and Space Company –
Europäische Gesellschaft für Luftfahrt, Verteidigung und Raumfahrt
Nach Boeing der zweitgrößte Luft-, Raumfahrt- und Rüstungskonzern der Welt

Gründer: Das Unternehmen entstand am 10. Juli 2000 aus der Fusion von
DaimlerChrysler Aerospace AG (DASA), BRD, und Aerospatiale Matra, Frankreich
Construcciones Aeronáuticas SA (CASA), Spanien

Anteile: Streubesitz 34,1 %, DASA 30,2 %‚ SOGEADE (französische Holding) 30,2 %, SEPI (spanische Holding) 5,5 %

Börsen: Notierungen in Frankfurt/Main, Paris und Madrid

Status: Gesellschaft niederländischen Rechts (NV)

Beschäftigte: 110000 an mehr als 70 Produktionsstandorten vor allem in Frankreich (44000), BRD (37000), Großbritannien (16000) und Spanien (9000); 35 Außenbüros für Kunden
Spitzenmanager: 52, davon 25 Franzosen, 23 Deutsche und vier Spanier

Zentralen: Paris für Strategie, Marketing und Recht, München für Finanzen, Einkauf und Kommunikation

Geschäftsbereiche: Produkte und Beschäftigte

– Airbus (A 310 bis A 380) 48500
– Verteidigung und Sicherheits-Systeme (Eurofighter, Radar, EloKa: elektronische Kampfführung, LFK: Lenkflugkörper) 24000
– Luftfahrt (Eurocopter,Tiger) 16000
– Raumfahrt (Ariane 5, Galileo) 12300
– Militärische Transportflugzeuge (A 400 M) 3600

Töchter: EADS North America und EADS Russia
Horst Hoffmann
junge Welt vom 10.6.2005

Todesgeschäft boomt wie selten

SIPRI-Jahrbuch: 2004 über eine Billion Dollar Rüstungsausgaben. USA einsame Spitze

Das Waffengeschäft boomt wie selten zuvor. Aus dem am Dienstag vorgestellten »Jahrbuch zu Rüstung und Abrüstung« des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute) geht hervor, daß die weltweiten Rüstungsausgaben im vergangenen Jahr auf die rekordverdächtige Summe von 1,05 Billionen Dollar (844 Milliarden Euro) stiegen. Mit nahezu der Hälfte (47 Prozent) sind daran die USA beteiligt.

Insgesamt wuchsen die Militärausgaben seit 1995 global um 2,4 Prozent und seit 2002 um sechs Prozent jährlich. Inzwischen erreichen sie fast das Niveau aus Zeiten des Kalten Krieges. Die Rüstungsausgaben sämtlicher Staaten beliefen sich 2004 auf umgerechnet 162 Dollar (132 Euro) für jeden Menschen auf der Welt. Im Jahr zuvor hatten sie eine Gesamtsumme von 956 Milliarden Dollar erreicht.

Die USA dominieren sowohl die Produktion als auch den Verkauf von Rüstungsgütern. »Sie besitzen heute nach allen nur denkbaren Zählweisen eine klare Vormachtstellung«, sagte SIPRI-Direktorin Alyson J. K. Bailes am Dienstag. Allein die zusätzlichen Aufwendungen der US-Regierung für ihren »Krieg gegen den Terror« überstiegen seit 2003 mit 238 Milliarden Dollar alle Militärausgaben in Afrika, Lateinamerika und Asien (unter Einschluß Chinas, aber ohne Japan).

Mit 38 der hundert weltweit führenden Rüstungsproduzenten und einem Marktanteil von 63,2 Prozent (Zahlen für 2003) beherrschen die USA auch die internationale Waffenherstellung eindeutig. Derweil entfielen von den Gesamtverkäufen im Wert von 236 Milliarden Dollar 30,5 Prozent auf die 42 führenden europäischen Rüstungsunternehmen. Zu ihnen gehörten auch sechs russische Anbieter.

Dem Bericht zufolge vergrößerten sich die wichtigsten Waffenhersteller »enorm« und seien mittlerweile mit multinationalen Großunternehmen zu vergleichen. Die Umsätze der hundert führenden Waffenfirmen seien größer als das zusammengerechnete Bruttosozialprodukt der 61 ärmsten Länder der Welt. (AP/AFP/jW)

junge Welt vom 8.6.2005
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