Freitag, 12. August 2005

[K]Eine Lizenz zum Töten

KSK-Killerkommandos jagen Drogenbarone in Afghanistan

In den letzten Wochen und Monate entwickelte sich eine rege Reisetätigkeit zwischen Deutschland und Afghanistan. Mehr als 100 KSK-Soldaten brachen im Mai Richtung Hindukush auf, demnächst folgen achthundert Soldaten zur Verstärkung des ISAF-Kontingents und zusätzlich reisen in diesen Tagen einige dutzend Beamte von Zollfahndung und BKA nach Kabul um afghanische Polizisten(1) im Antidrogenkampf zu schulen. Die Nervosität und Konzeptlosigkeit hinter diesem Aktionismus ist kaum zu verheimlichen. Zu gerne hätte die deutsche Regierung ein Erfolgsmodell für militärische Interventionen, das sich positiv gegenüber dem US-Debakel im Irak abhebt. Sowohl für die Wahlen in Deutschland wäre dies hilfreich als auch für den erhofften Aufstieg auf der weltpolitischen Bühne mit Hilfe eines Sitzes im UN-Sicherheitsrat. Doch die schöne Fassade des zivil-militärischen Experiments bröckelt. Der Widerstand in Afghanistan nimmt zu, die Kampfhandlungen der westlichen Truppen ebenso, der Drogenhandel floriert wie nie und das KSK erfüllt völkerrechtswidrige Tötungsaufträge. Von einer Normalisierung scheint die Lage in Afghanistan noch Jahrzehnte entfernt und unter den dort eingesetzten Soldaten macht sich Frustration - und Angst - breit.

Brüchiger Erfolg

In offiziellen Verlautbarungen der Enduring Freeedom Allianz überwiegen die Erfolgsgeschichten. Am 30. Juni 2005 vermeldete das Verteidigungsministerium in Kabul das Ende der Entwaffnung der afghanischen Milizen (dpa 30.6.2005). Im September wird in Afghanistan gewählt und die Sicherheitslage ist angeblich so entspannt, dass Kriegsflüchtlinge seit einigen Wochen laut Beschluss der Innen-ministerkonferenz abgeschoben werden dürfen. Die Hamburger Behörden sind dabei besonders eifrig und wollen nun neben allein stehenden Männern auch verheiratete Paare abschieben. Dass gleichzeitig der Hamburger LKA-Dienststellenleiter Helmut Hedrich gegenüber dem Hamburger Abendblatt (21.7.2005) vor dem Abflug zu seinem Einsatz in Kabul erklärte "Wir werden dauerhaft Schutzwesten tragen, nachts nicht auf die Straßen gehen. Schließlich ist Kabul das Zentrum einer echten Krisenregion," das erscheint den deutschen Behörden nicht als Widerspruch.

Zu einer realistischen Lagebeurteilung ist scheinbar keiner der westlichen Alliierten in der Lage. Noch im Winter erklärte die US-Armee die Taliban für fast völlig aufgerieben "doch seit dem Frühjahr lieferten sich die islamistischen Kämpfer heftige Gefechte mit afghanischen Soldaten und den sie unterstützenden multinationalen Truppen unter US-Kommando, an der auch Bundeswehrsoldaten beteiligt sind." (spiegel-online 1.7.2005) Dieser Widerstand gilt nach der Entwaffnung der "regulären" Milizen nun ausschließlich als kriminell oder terroristisch. In den so genannten illegalen Milizen sind nach Schätzungen (UNAMA) ca. 120.000 Bewaffnete in rund 1.800 Gruppen organisiert.

Narkostaat Afghanistan?

Besonders die Milizen, die als Privatarmee für Drogenbarone fungieren sind allem Anschein nach hervorragend ausgebildet und ausgerüstet. "Schwer bewaffnete Konvois, bis zu 60 Jeeps voller Opium, Heroin und Morphinbase, rasen über die Ebenen im Westen Richtung Iran," berichtet der Stern (7.7.2005) und zitiert einen KSK-Mann mit der Aussage "wir wissen dass ehemalige Kräfte des austra-lischen und des britischen Special Airservice dabei sind." Militärisch sind die Drogenkartelle kaum in den Griff zu bekommen. Schon seit Jahren versuchen die iranischen Behörden - vergeblich - mit über 40.000 Soldaten und Polizisten sowie mit Milliardeninvestitionen in Grenzsicherung (Mauern, Gräbern, Überwachung) den Drogentransit aus Afghanistan zu stoppen.(2)

In Afghanistan wird 50% des Bruttoinlandsprodukts über Drogenanbau und -handel erzielt. Die Rhetorik der westlichen Staaten blendet aus, dass sehr viele Menschen in Afghanistan existenziell auf diese Einnahmen angewiesen sind und wie stark deswegen der Widerstand sein wird, wenn westliche Truppen - oder von diesen eingesetzte afghanische Sicherheitskräfte - die Mohnfelder vernichten. Im Distrikt Rustak etwa kam es im Mai zu schweren Unruhen, nachdem zahlreiche Mohnfelder niedergebrannt worden waren. In der Weltbankstudie "Breaking the conflict trap" (2003) wird die begrenzte Umsetzbarkeit eines rein sicherheits-politischen Ansatzes, der nur auf Verbot und Zerstörung der Produktion ausgerichtet ist, erläutert und darauf verwiesen, dass durch bloße Verbotspolitik Bürgerkriege geradezu herbeigeführt werden. "Das Problem dieses produktions-orientierten Ansatzes ist, dass es Gebiete außerhalb der Kontrolle einer anerkannten Regierung enorm wertvoll werden lässt und so automatisch dazu beiträgt Rebellionen zu fördern." (S.144) Erfolgversprechender erscheint es hier, die Kooperation der Bauern durch ökonomische Alternativen zum Mohnanbau zu unterstützen und durch eine aufgeklärte Drogenpolitik in den Abnehmerstaaten (z.B. kontrollierte Abgabe von Heroin an Abhängige) die Gewinnspanne und damit die Attraktivität des Handels zu senken. Überhaupt scheinen sich in Afghanistan viele Fehler aus früheren Phasen der Entwicklungspolitik zu wiederholen. Anstatt z.B. den Bauern Mindestpreise für ihre Weizenernte zu garantieren, wird der Preis durch Hilfslieferungen gedrückt.

Letztes Aufgebot

Doch ursachenorientierte und langfristige Drogenpolitik steht nicht auf der Tagesordnung der alliierten Besatzer in Afghanistan. Die Devise scheint zu lauten, wo Gewalt nicht hilft, da ist eben noch mehr Gewalt notwendig. Geplant ist, dass der alte Bundestag noch vor seiner Auflösung, wahrscheinlich am 7. September 2005, über die Erhöhung des ISAF-Kontingents auf 3000 Soldaten abstimmen soll. Zur Zeit stocken auch zahlreiche andere Staaten ihre Militärkontingente in Afghanistan auf. Großbritannien, die Niederlande, Australien und Spanien schicken jeweils hunderte von Soldaten - meist Spezialtruppen. Teilweise werden damit die ISAF-Kontingente aufgestockt, die Mehrheit wird jedoch für den so genannten "Antiterroreinsatz" Enduring Freedom entsandt. Die offiziellen Begründungen sind meist Sicherung der Parlamentswahlen im September. Parallel, aber durchaus mit einander verknüpft, werden der ISAF-Einsatz und Enduring Freedom vorangetrieben. Der ISAF-Einsatz soll besonders mit Hilfe der Bundeswehrsoldaten schrittweise auf das ganze Land ausgedehnt werden. Verteidigungsminister Struck erklärte hierzu, es mache wenig Sinn, dass sich die Bundeswehr in Afghanistan räumlich so stark eingrenze(3). In Kunduz wird die Bundeswehr in den nächsten Monaten auch von 93 österreichischen Soldaten, überwiegend Elitesoldaten, so genannte Kaderpräsenzeinheiten unterstützt (Der Kurier 29.7.2005). In Faisabad wird das dortige Bundeswehrkontingent in "Sicherheitsfragen" von den Elitetruppen des Kommandospezialkräfte unterstützt. Die meisten Elitesoldaten der verschiedenen nationalen Kontingente befinden sich aber im formal getrennten "Antiterroreinsatz" Enduring Freedom, der zur Zeit schwerpunktmäßig die Rebellen in der Grenzregion zu Pakistan und die Drogenökonomie angreift. Im Rahmen dieser Auseinandersetzung kamen seit Anfang 2005 mehr als 600 Menschen ums Leben, darunter Aufständische, aber auch zahlreiche Zivilisten und rund 50 US-Soldaten. (vienna-online, 27.7.2005). Die häufigen Opfer in der Zivilbevölkerung tragen sehr zur Verschlechterung der Stimmung gegenüber den Besatzern bei. Anfang Juli starben bei einem US-Luftangriff, vorgeblich auf terroristische Ziele, in der Provinz Kunar im Osten Afghanistans 17 Dorfbewohner, überwiegend Frauen und Kinder. Aber nicht nur die Stimmung gegen das US-Militär ist schlecht, auch die deutschen ISAF-Soldaten sind in der Bevölkerung keineswegs beliebt. Immer wieder gibt es gegen die deutschen Soldaten Anschlagsversuche und Drohungen. Reuters berichtet am 11.7.2005 von einem Angriff auf einen Konvoi mit Bundeswehrsoldaten nahe Kabul.

Beim deutschen Stützpunkt in Kunduz sollen Flugblätter mit der Forderung nach dem Abzug der ausländischen Truppen verteilt worden sein. (Welt 28.6.2005) Schon im Jahr 2003 zitiert die Welt (16.10.) einen Bundeswehrsoldaten mit der Äußerung "Eigentlich wollen uns die Menschen nicht." Der Artikel konstatierte weiter "Zuerst seien die Kinder nur freundlich gewesen, in letzter Zeit hätten jedoch die Steinwürfe zugenommen..." Im Internet sollen Erklärungen afghani-scher Islamisten kursieren, in denen Bundeswehrsoldaten der Tötung von Muslimen beschuldigt werden (Welt 15.7.2005). Die Anwesenheit der westlichen Truppen scheint auch negativ auf die Arbeit von Hilfsorganisationen auszu-wirken. Dass "Helfer als Handlanger" wahrgenommen werden, lässt sich wohl aus den zunehmenden Anschlägen gegen Hilfsorganisationen schließen. Dies liegt möglicherweise daran, dass einerseits Hilfsorganisationen - mehr oder weniger freiwillig - immer stärker mit Militärs kooperieren und andererseits die Besatzungstruppen selbst die Trennung zwischen zivil und militärisch verwischen indem sie versuchen sich als Entwicklungshelfer zu präsentieren (Wiederaufbau-teams!). Jürgen Lieser, Leiter der Katastrophenhilfe von Caritas International, formuliert in einem Positionspapier, das was viele Hilfsorganisationen beschäftigt: "Hilfsorganisationen müssen sich angesichts dieser Entwicklungen fragen, ob sie nicht für politische Zwecke instrumentalisiert werden ..." Enge Kooperation mit dem Militär stellt zudem "die Unabhängigkeit der Hilfsorganisationen in Frage und führt auch zu einer konkreten Gefährdung der Helfer, weil diese von der Gegenseite mit den feindlichen Truppen identifiziert werden."(4)


Drug Enforcement mit Killerkommandos

Zivil-militärische Zusammenarbeit auf einer anderen Ebene stellt die Ausbil-dungshilfe deutscher Polizisten für afghanische Sicherheitskräfte dar. Der Polizeieinsatz ist der einzige bundesdeutsche Einsatz der auch erklärtermaßen ein Antidrogeneinsatz ist. Otto Schily informierte am 22.7.2005 die Öffentlichkeit: "Die Bekämpfung des Drogenanbaus und -handels ist eine der wichtigsten Aufgaben Afghanistans. Wir unterstützen Afghanistan in diesem Kampf und werden es durch professionelle Schulung seiner Sicherheitsbehörden in die Lage versetzen, selbst effektiv gegen den Rauschgifthandel vorzugehen." All zu sehr scheint sich die deutsche Regierung aber nicht auf die Fähigkeit oder Willigkeit der afghanischen Behörden zu verlassen, es deutet alles darauf hin, dass KSK-Soldaten und andere Spezialtruppen seit Mai 2005 massiv Drogenbekämpfung durchführen. Gegenüber dem Stern (7.7.2005) berichteten Soldaten davon, dass "der Einsatz in Afghanistan aufs Ausschalten von Hochwertzielen im Drogen-geschäft hinaus(läuft). Einige Offiziere haben uns nach Stabsbriefings klipp und klar gesagt, dass es um drug enforcement geht." Dass hier nicht an rechtsstaatliche Prozesse gedacht ist ergänzen die Soldaten ganz offen "Wir sollen die Drahtzieher ausschalten, eliminieren." Seit Mai 2005 ist bekannt(5), dass KSK-Kommandos bei ihrem Einsatz im Südosten Afghanistans in begrenztem Umfang über direkte Kampfhandlungen "direct action" selbst entscheiden können. Um was es sich dabei konkret handelt ist erschreckend: "Nie habe man in Calw so hart ‚Direct Action' trainiert wie in diesem Jahr, ‚und zwar die dreckigen Varianten: Mehrere Trupps landen verdeckt, überfallen mit großer Feuerkraft den Feind - kurz gucken, eliminieren.'" Bundeswehrsoldaten üben Attentate, neudeutsch "Assasinationen" - und führen diese wahrscheinlich auch durch. Als "Kommando Spezialkiller" bezeichnet deswegen der Oberstleutnant der Bundeswehr Jürgen Rose das KSK in einem Artikel (Freitag, 22.7.2005). Die Tötungspraxis auf puren Verdacht, in der Regel wohl auf Denunziation und Gerüchte hin widerspricht nicht nur dem Grundgesetz sondern auch internationalem Recht. Die Genfer Konvention (Artikel 3) regelt klar: "Personen, die nicht direkt an den Feindseligkeiten teilnehmen, ... sollen unter allen Umständen mit Menschlichkeit behandelt werden ... Zu diesem Zwecke sind und bleiben in bezug auf die oben erwähnten Personen jederzeit und jedenorts verboten: a.) Angriffe auf Leib und Leben, namentlich Mord jeglicher Art, ... d.) Verurteilungen und Hinrichtungen ohne vorhergehendes Urteil eines ordnungsmäßig bestellten Gerichtes, das die von den zivilisierten Völkern als unerlässlich anerkannten Rechtsgarantien bietet." Dieser Schutz vor willkürlichen Hinrichtungen gilt übrigens völlig unabhängig davon, ob es sich um mutmaßliche Drogenkriminelle oder um mutmaßliche Terroristen handelt. Da allerdings der Kampf gegen Drogenkriminalität nicht vom Mandat des Bundestags gedeckt ist, scheint sich die Praxis einzuspielen, Drogenhandel mit Terrorismus zu identifizieren. Der Bundestagsbeschluss am 17.11.2001 begrenzt die Aufgabe auf Terrorbekämpfung "Ziel ist es, Führungs- und Ausbildungs-einrichtungen von Terroristen auszuschalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen..."(6) Der verteidigungspolitische der SPD, Rainer Arnold, erklärte auf die Frage, ob KSK-Soldaten entgegen ihres Mandats auch gegen Drogenbosse im Einsatz seien: "Da gibt es Überschneidungen. Ein Terrorist kann sein Terrorgeschäft über Drogen finanzieren."(ddp 14.7.2005) Zynisch könnte man vermuten, dass erschossene Drogendealer hinterher immer auch Terroristen gewesen sein werden.

Demokratische Kontrolle ausgeschlossen

Der Öffentlichkeiten und wohl auch vielen Parlamentariern bleibt im Moment kaum mehr als Vermutungen und Indizien über das was das KSK tatsächlich tut. Auf welcher Grundlage die Bundestagsabgeordneten ihre Entscheidung über eine Ausweitung des Bundeswehrmandats treffen sollen bleibt völlig unklar. Alle wichtigen Angaben zu den KSK-Einsätzen sind Verschlusssache - obwohl genau diese Einsätze wesentlich zur Eskalation vor Ort und damit auch zur Gefährdung der Soldaten beitragen. Es gibt keine Informationen über den Umfang, über das Einsatzgebiet, über den genauen Auftrag - noch nicht einmal über die gefallenen Soldaten. Und offensichtlich gab es tote KSK-Soldaten, das Internetportal German-Foreign-Policy spricht von bis zu 12 Toten. Eine Aussage, die der ehemalige Brigadegeneral Heinz Loquai indirekt bestätigt. Ihm sei schon vor einiger Zeit zu Ohren gekommen, "dass deutsche Soldaten bei KSK-Einsätzen ums Leben gekommen sind und die Familienangehörigen massiv unter Druck gesetzt werden, um zu verhindern, dass die Medien darüber etwas erfahren."(7) Nach Angaben von Spiegel-Online (21.5.2005) sind nicht einmal die Obleute der Bundestagsfraktionen über den genauen Auftrag und den militärischen Befehl unterrichtet. Dennoch ist von den meisten Parlamentariern kein Widerstand gegen diese Praxis zu erwarten. Kritische Stimmen kommen allerdings verstärkt von Seiten der Bundeswehrsoldaten und selbst der KSK-Soldaten vor Ort, die sich "als Spielball der Politik sehen"(8) und befürchten für einen Sitz im Weltsicher-heitsrat von der Bundesregierung verheizt zu werden.

Auch wenn die deutschen Todesschwadronen als logische Konsequenz der immer aggressiveren Außen- und Militärpolitik erscheinen: Kriegsverbrechen dürfen niemals toleriert werden! Bundeswehrsoldaten in Afghanistan sind keine Lösung - sie sind Teil des Problems.

Anmerkungen:
(1) Meldung des Bundesministeriums des Innern, 21.7.2005.
(2) Gouverneur, Cédric, Der Opiumkrieg an der Grenze des Iran, in: Le Monde diplomatique, Nr. 6701 vom 15.3.2002.
(3) Sipotec, 21.7.2005.
(4) Lieser, Jürgen: Helfer als Handlanger? Humanitäre Hilfe in den Zeiten der neuen Kriege. http://www.ageh.de/informationen/con_05/con_1_05/Lieser-Caritas-mue.pdf
(5) Haydt, Claudia / Pflüger, Tobias: Eskalation in Afghanistan, 27.5.2005. http://www.imi-online.de/2005.php3?id=1174
(6) siehe: http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/aussenpolitik/
friedenspolitik/abr_und_r/jab2002/1/1_2_html#1

(7) Zitiert nach Rose, Jürgen: Kommandos Spezialkiller, Freitag 22.7.2005.
(8) Rauss, Uli: Diesmal wird es Tote geben (Stern 7.7.2005)

Claudia Haydt

IMI-Analyse 2005/020
Informationsstelle Militarisierung

Atomwaffen abschaffen - auch die in der Europäischen Union

Eigentlich würde man glauben, dass es einfach ist, politisch klar gegen Atomwaffen Stellung zu beziehen. Nicht so im Europäischen Parlament. Dort gibt es enorme Rücksichtnahme gegenüber den Staaten innerhalb der EU, die Atomwaffen ihr Eigen nennen. Kritik an den Atomwaffen von Großbritannien oder Frankreich wird entweder nicht oder ganz, ganz vorsichtig geäußert. Ähnliches gilt für die Atomwaffen, die die USA in EU-Staaten stationiert haben, Kritik daran ist nahezu ein Tabu. Diese Grundpositionen aller anderer Fraktionen (einschließlich der Sozialdemokraten und Grünen) mit Ausnahme der Linksfraktion zeigten sich bei der Resolution des Europäischen Parlaments anlässlich der bevorstehenden Revisionskonferenz zur Nichtverbreitung von Atomwaffen (NPT) in New York.

Die Forderung im Antrag der Linksfraktion an "die Mitgliedstaaten, die über Atomwaffen verfügen", sich gemeinsam darauf zu einigen, "Atomwaffen nicht als erste einzusetzen oder gegenüber Staaten, die keine Atomwaffen besitzen, nicht mit ihrem Einsatz zu drohen", wurde von Konservativen und Sozialdemokraten zurückgewiesen. Jan Marinus Wiersma, der Verhandlungsführer der Sozial-demokraten sagte klipp und klar: "Wir sind gegen ein atomwaffenfreies Europa."

Nur 80 von 732 EU-Abgeordneten unterzeichneten bisher eine schriftliche Erklärung (http://tobiaspflueger.twoday.net/stories/883754), die ich zusammen mit vier Kolleg/inn/en anlässlich des 60. Jahrestages der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki initiierte. In ihr bekräftigen die unterzeichnenden EU-Parlamentarier ihre Entschlossenheit, sich für die nukleare Abrüstung einzusetzen und rufen die Europäische Union auf, "alles in ihren Kräften Stehende zu tun, damit Atomwaffen nie wieder eingesetzt werden". Auch nicht von ihr selbst. Denn es ist zu befürchten, dass viele Staaten dieser Erde nicht nur mit dem Verweis auf die USA, sondern auch auf die unnachgiebige Haltung der EU und ihrer Mitgliedsstaaten sich weigern werden, auf Atomwaffen zu verzichten bzw. atomar abzurüsten. Der nukleare Kurs der immer stärker militarisierten EU wird deutlich in ihren verteidigungspolitischen Strategiepapieren. Das Atomwaffen-arsenal der beiden Nuklearstreitkräfte Großbritannien und Frankreich ist Teil dieser Strategie. Im "European Defence Paper", dem Weißbuch für die zukünftigen Kriege der EU, heißt es: "Wir haben es nicht vermieden, Szenarien zu präsentieren, in welchen die nationalen Nuklearstreitkräfte europäischer Mitgliedstaaten in die Planung mit einfließen könnten." Im Klartext bedeutet dies: Britische und französische Atomwaffen sind Teil der EU-Militärpolitik.

Die andere Seite der militärischen Nutzung stellt die so genannte "zivile" Variante der Atomkraft dar. Die Hochrisikotechnologie Atomkraft hinterlässt ein unlös-bares Atommüllproblem - statt weiter Atommüll zu produzieren ist ein sofortiger Ausstieg aus der Atomenergie dringend erforderlich. Deshalb ist es auch notwendig gegen die europäischen Endlagerprojekte im lothringischen Bure, im schweizerischen Benken und im wendländischen Gorleben zu protestieren und sich mit den Anti-Atom-Initiativen vor Ort zu solidarisieren. Darüber hinaus gilt es sich mit allen Kräften der angestrebten Renaissance der Atomkraft entgegenzustellen. Auch wenn diese innerhalb der EU nur in Frankreich und Finnland Reaktorneubauten bedeutet, steckt die EU immer größere Summen in die Atomforschung. So sollen in das 7. EU-Forschungsrahmenprogramm mit 3,1 Milliarden Euro der Atomforschung doppelt so viel zufließen, wie ihr noch im 6. Forschungsrahmenprogramm zugute kam. Solange die "zivile" Nutzung der Atomkraft weiter betrieben wird, behalten sich mit ihr die Atom-Staaten auch die Möglichkeit der militärischen Nutzung waffenfähigen Plutoniums offen. Ein ziviles Europa aber muss sich endgültig vom Atomzeitalter verabschieden, und anstatt nuklearer Präventivkriegsoptionen den Boden für zivile Konfliktlösungen bereiten. Keinen Schritt weiter bringt es, eine atomwaffenfreie Welt zu fordern, und dabei ein atomwaffenfreies Europa abzulehnen. In diesem Sinne: Atomwaffen abschaffen, bei uns anfangen!

Tobias Pflüger
Vorstand der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. und Mitglied des Euro-päischen Parlaments (parteilos, gewählt auf der Liste der PDS, Mitglied der Linksfraktion GUE/NGL, des Auswärtigen Ausschusses und des Unterausschusses Sicherheit und Verteidigung)

IMI-Standpunkt 2005/051
Informationsstelle Militarisierung

Freitag, 8. Juli 2005

50 Jahre Bundeswehr: Die Erfolgsgeschichte der Remilitarisierung

"50 Jahre entschieden für den Frieden" sollen ganz "bürgernah" mit Symposien, Kommandeurstagungen, informellen Treffen der NATO-Verteidigungsminister, Festakten inclusive Großem Zapfenstreich vor handverlesenem Publikum und Tagen der Offenen Tür begangen wer-den.

Eine Jubiläumswanderausstellung erinnert an die 50jährige "Erfolgsgeschichte". Die Post AG stiftet eine Sonderbriefmarke zum Jubelfest. Mit einer Extra-Veran-staltung am 4. Oktober in Erfurt will die Bundeswehr "Ihren Beitrag zur Wieder-vereinigung" feiern.

Nicht zu Unrecht: Die Bundeswehr, fest eingebunden in das gewaltige Droh-potential der US-geführten NATO-Militärmaschinerie hat durchaus ihren Anteil am vorläufigen Endsieg im kalten Krieg gegen die Sowjetunion und die Staaten des Warschauer Vertrages, die buchstäblich zu Tode gerüstet wurden. (Daß sich die Sowjetunion auf diesen selbstzerstörerischen Rüstungswettlauf eingelassen hat, ist ein anderes Thema.) Die bundeswehroffizielle Legende geht freilich anders und kann in den kommenden Wochen in sämtlichen unabhängigen Medien nach-gelesen werden.

"Der Überfall des kommunistischen Nordens im Juni 1950 auf Südkorea wurde nicht nur in den USA als Ausdruck aggressiven sowjetischen Expansionsdranges bewertet. ... Angst machte sich breit... Die Erkenntnis setzte sich durch, dass Mitteleuropa nicht ohne einen deutschen Verteidigungsbeitrag zu schützen sein würde ..." teilt die "Stuttgarter Zeitung" am 28.5.2005 ihre LeserInnen mit... Die Wahrheit sieht anders aus.

Als offizielles Gründungsdatum der Bundeswehr gilt der 12. November 1955. Damals erhielten die ersten 101 freiwilligen Bundeswehrsoldaten ihre Ernen-nungsurkunden. Die Vorbereitungen zur Aufstellung einer deutschen Armee nach der Niederringung des Faschismus reichen freilich sehr viel weiter zurück.

Als der aufstrebende Jungpolitiker Franz-Josef Strauß 1946 tönte: "Wer noch einmal ein Gewehr anfaßt, dem soll die Hand abfallen" durfte er sich der überwältigenden Zustimmung seiner inmitten von Trümmerhaufen lebenden Landsleute sicher sein. Niemand konnte sich damals vorstellen, daß nur neun Jahre später die ersten deutschen Soldaten in die Kasernen einrücken würden. Doch jenseits des Atlantik wurde das Unvorstellbare längst konkret zu Ende gedacht.

Der Kalte Krieg: Geburtshelfer der Bundeswehr

Nach dem Tod von Theodor Roosevelt war mit Harry S. Truman ein Repräsentant jener Kräfte ins Weiße Haus eingezogen, die in der Sowjetunion den eigentlichen Gegner sahen, den es mit allen Mitteln zurückzudrängen galt. In einem Dokument vom 15. April 1945 heißt es: "Die Gruppe (der Besprechungsteilnehmer) beschloss ... Deutschland wieder aufzubauen und dann zu remilitarisieren. Deutschland sollte zu einem Bollwerk gegen Rußland gemacht werden..." Zu den Besprechungsteilnehmern gehört auch der spätere US-amerikanische Aussen-minister Dulles. Im Oktober 1948 berichtete die US-Zeitschrift "US News and World Report: "Militärische Führer der Vereinigten Staaten befürworten ein starkes Deutschland. Sie würden die Deutschen, wenn das ohne Verschärfung der Gefahr eines plötzlichen Kriegsausbruchs möglich sein sollte, gern wieder bewaffnen. Sie sehen in Deutschland ein militärisches Potential, das viel größer ist als im übrigen Europa." Die USA fanden in dem entschiedenen Antikommunisten Konrad Adenauer, einen Helfer, der ihre Interessen teilte und mit äußerster Konsequenz vorantrieb. Während Adenauer in klarer Einschätzung der Stimmungslage der Bevölkerung am 22.11.1949 betonte , "mit allen Mitteln die Neubildung irgendwelcher Streitkräfte zu verhindern" beauftragte er ebenfalls im November 1949 General Manteuffel mit der Erstellung eines Gutachtens über die technische Seite eines deutschen Wehrbeitrags. Bereits im Dezember 1948 war General Speidel von Adenauer beauftragt worden, eine Aufstellung über den "ungefähren Umfang und Charakter" einer deutschen Wiederaufrüstung zu erarbeiten.

Am 3. Dezember 1949 kündigte Bundeskanzler Adenauer in autokratischer Manier ohne vorherige Beratung in Parlament und Regierung "die Aufstellung westdeutscher Truppen an". Um die deutschen Bevölkerung, die eine Remili-tarisierung Umfragen zufolge zu mehr als 70 Prozent ablehnte, zur Zustimmung oder zum stillschweigenden Hinnehmen zu bewegen schreckte die Adenauer-Regierung vor keiner dicken Lüge und keiner noch so maßlosen Übertreibung der militärische Stärke und Aggressionsbereitschaft der Sowjetunion zurück. "Rote Fluten aus dem Osten", zu denen Adenauer auch die kasernierte Volkspolizei der DDR zählte, stünden bereit und drohten Westdeutschland zu überrollen. Bundespräsident Theodor Heuss bewährte sich dagegen als Stimme der Vernunft, als er am 9.12.1949 erklärte, er sei "absolut gegen eine deutsche Wehrmacht, auch wenn die Alliierten sie vorschlagen sollten... Offen gesagt, ich kann nicht sehen, wie die Volkspolizei einen SED-Kreuzzug gegen Westdeutschland führen wollte." Bundesinnenminister Gustav Heinemann, der die Wiederaufrüstung entschieden ablehnte trat schließlich zurück.

"Angriff auf die verfassungsmässige Ordnung"

Gegen die mit hysterischem Antikommunismus vorangetriebene Remilitari-sierung bildete sich spontan die "Ohne-Uns"-Bewegung heraus. Demokratische Persönlichkeiten wie Gustav Heinemann und der hessische Kirchenpräsident Pastor Niemöller forderten die Durchführung einer Volksabstimmung über die Remilitarisierung. Ein am 28.1. 1950 in Essen tagender westdeutscher Friedens-kongreß forderte Bundesregierung und Bundestag auf, eine Volksbefragung zur Remilitarisierung durchzuführen. Als weder Regierung noch Parlament auf diese Forderung reagierten, beschlossen die Initiatoren die Volksbefragung selbst durchzuführen. Am 14.4.1950 erließ Innenminster Lehr ein Verbot der Volksbefragung, da diese angeblich einen Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik darstelle und deren Beseitigung zu Ziel habe. Die Volksbefragung fand illegal statt. 9 119 667 Bürger sprachen sich gegen die Remilitariserung und für den Abschluß eines Friedensvertrages aus.

Ehrenerklärung für Kriegsverbrecher

Doch Adenauer hielt unbeirrt an seinen Plänen fest. Zwischen 4. bis 9. Oktober erarbeiteten in einem abgelegenen Eifelkloster unter strenger Klausur deutsche Wehrmachtsoffiziere eine Denkschrift über die künftige Wehrpolitik An der Denkschrift hatten mit Ausnahme von Oberst Graf von Baudissin und Graf von Schwerin ausschließlich hochbelastete Wehrmachtsoffiziere mitgewirkt. Der spätere Heeresreformer von Baudissin trug seine Vorstellungen vom in der Demokratie verankerten "Staatsbürger in Uniform" vor, der mit den alten Wehrmachtstraditionen nichts mehr gemeinsam haben sollte. "Baudissin? Den haben wir wir sowieso nicht ernst genommen" erklärten die Generalstabsoffiziere später. Von Schwerin, dem offenbar eine Feigenblattfunktion zugedacht war, wurde von Adenauer rasch gegen den ihm treu ergebenen CDU-Abgeordneten Theodor Blank ausgewechselt. Gleichzeitig kamen im Dezember 1950 die Nazigenerale Dr. Hans Speidel (Stabschef von Generalfeldmarschall Rommel) und Adolf Heusinger (ehemals Chef der Operationsabteilung im Oberkommando des Heeres) in das neu geschaffene sogenannte Amt Blank, dem späteren Verteidigungministerium. Die hochbelasteten Offiziere forderten eine "Ehren-erklärung" für ihren Berufsstand. General Eisenhower beeilte sich Adenauer zu versichern, er sei inzwischen zu der Überzeugung bekommen, daß ein wirklicher Unterschied zwischen den deutschen Soldaten und Offizieren einerseits und Hitler mit seinen verbrecherischen Helfern andererseits bestehen. "Ich bin nicht der Ansicht, daß der deutsche Soldat als solcher seine Ehre verloren hätte." Als Eisenhower diese "Ehrenerklärung" aussprach saßen noch zahlreiche Wehr-machtsoffiziere wegen ihrer Kriegsverbrechen in Haft. Bald darauf begannen sich die Gefängnistore auch für zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilte Kriegsverbrecher, Förderer und Profiteure der Naziverbrechen zu öffnen. Sie haben das politische Klima der Bundesrepublik nachhaltig geprägt.

Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland sah keinen "Verteidigungs-beitrag" vor. Erst 1956 wurde mit den Stimmen der SPD-Abgeordneten eine "Wehrergänzung" ins Grundgesetz aufgenommen: Artikel 87a: "Der Bund stellt Streitkräfte zu seiner Verteidigung auf ...". Die Bundesregierung handelte also mit der Zusage, eine Armee aufzustellen, verfassungswidrig. Der manchmal äußerst klarsichtige Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein beschrieb Charakter und Bedeutung der Bundeswehrmacht in einem Artikel 1963 so: "Die neue deutsche Armee wurde nicht gegründet, um den Bonner Saat zu schützen, sondern der neue Staat wurde gegründet, um eine Armee gegen die Sowjets ins Feld zu stellen....".

Der Griff zur Bombe

Der Aufbau der Bundeswehr wurde, kaum hatten die ersten Freiwilligen die Kaserne bezogen, mit rasantem Tempo vorangetrieben. Am 8. Mai 1955, 10 Jahre nach der Befreiung von Faschismus und Krieg wurde die Bundesrepublik Mitglied der NATO. Als Reaktion darauf entstand der Warschauer Pakt. 1956 verabschiedete der Bundestag ein Gesetz über eine allgemeine zwölfmonatige Wehrpflicht. Am 16.10.1956 wurde mit Franz-Josef Strauß ein buchstäblich zu allem entschlossener kalter Krieger zum Verteidigungsminister ernannt. Kaum vier Wochen im Amt, brachte er sich mit der folgenden Aussage ins Gespräch: "Die vereinigte Stärke unserer Verbündeten reicht aus, um das Reich der Sowjetunion von der Landkarte zu streichen." Strauß kämpfte mit einer an Besessenheit grenzenden Entschlossenheit um den deutschen Zugriff auf die Atombombe." Die FAZ vom 13.2.1957 berichtete: "Bundesverteidigungsminister Strauß hat erklärt, er sei der festen Auffassung, daß die atomare Bewaffnung in allen europäischen Heeren kommen werde, gleichgültig, ob die Amerikaner dafür oder dagegen seien. ‚Ein Krieg wird in Europa ein Atomkrieg sein." Auch in den USA wurden Stimmen laut, die die deutschen atomaren Ambitionen zunehmend kritisch betrachteten. Das US-amerikanische Nachrichtenmagazin Newsweek vom Februar 1958 schrieb: "Strauß symbolisiert den neuen Geist des Nationalismus, der sich jetzt in Westdeutschland regt. Bei den Verbündeten der Bundesrepublik sind ernste Zweifel über den ehrgeizigen Bundesminister wach geworden ...".

1957 testete die Sowjetunion erfolgreich eine Interkontinentalrakete. 1949 hatte sie bereits ersten Atombombentests durchgeführt. Damit war klar, daß das US-Territorium zukünftig auch in Reichweite sowjetischer Atomraketen lag. Das US-amerikanische Atomwaffenmonopol war durchbrochen. Die USA reagierten mit der Stationierung von Atomwaffen in Europa, um die UdSSR in kürzeren Flugzeiten erreichen zu können. Der NATO-Oberbefehlshaber in Europa, US-General Norstad forderte die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen. Der Bundestag stimmte dem zu. Doch an den "Roten Knopf" sollten die Bonner Atomkriegsstrategen nicht mehr kommen. Die Bundeswehr blieb eine konventionelle Armee, die zwar über die atomaren Waffensysteme verfügt, nicht aber über die dazugehörigen Atomsprengköpfe. Das atomare Patt, das Gleichgewicht des Schreckens, erzwang eine realistischere Politik. USA und Sowjetunion einigten sich auf gemeinsame Obergrenzen ihrer atomaren Rüstungen. Die erste Hochphase des kalten Krieges ging zu Ende.

Gegen "Innere Feinde"

Die Bundeswehr wurde mit einer Mannschaftsstärke von 495 000 Mann, im Krisenfall konnte sie auf 1,2 Mio. Mann aufgestockt werden, zur stärksten Armee Westeuropas ausgebaut. Dem in der Bevölkerung nach wie vor vorhandenen tiefen Mißtrauen gegen die deutsche Armee versuchten Militärreformer, wie Graf von Baudissin mit der Vorstellung eines anderen Soldatentyps, des Soldaten in der demokratischen Gesellschaft, einer zeitgemäßen "Inneren Führung" des "Staats-bürgers in Uniform" entgegenzuwirken. Den Geist der Bundeswehr dominierten die Reformer ganz sicher nicht. Im Gegenteil: tonangebend waren die alten Wehrmachtsoffiziere. Ende der 60er Jahre beschäftigte sich die Bundeswehrführung verstärkt mit dem "Inneren Feind". Mit der Verabschiedung der Notstandsgesetze wurde die Bundeswehr zur potentiellen Bürgerkriegsarmee, die auch Inneren eingesetzt werden kann. Im Fallex 66 genannten Bundeswehrmanöver vom Oktober 1966 übten Staatsgewalt, Bundeswehr und paramilitärische Organisationen gemeinsam den "Notstand", den Einsatz im Inneren. Gleichzeitig fand ein breit angelegtes Bundeswehrmanöver unter Anleitung des NATO-Oberbefehlshabers Europa-Mitte statt. Das angenommene Eingreifszenario sah so aus: Streiks, Aufstände, Sabotageakte, aufsässige Gastarbeiter legen die Wirtschaft der Bundesrepublik lahm, während über den Balkan starke Ostblockarmeen die BRD angreifen....

So ganz machte die Reformphase Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre aber auch vor den Kasernentoren nicht halt. Der eine oder andere Traditionsraum wurde von Nazihelden gesäubert. Die Gruppe "Leutnante 70" formulierten demokra-tische Thesen zum Berufsverständnis. Da die von den alten Wehrmachtsoffizieren geprägten "Traditionalisten" jedoch nach wie vor eine klare Mehrheit stellten, mußten solche Bemühungen halbherzig bleiben.

Der "führbare" Atomkrieg

Mit der Stationierung der US-Erstschlagsraketen Pershing II und Cruise Missiles unternahm die US-Regierung 1983 einen erneuten Versuch, das atomare Patt zu durchbrechen und eigene Überlegenheit herzustellen. Mittels der superschnellen und zielgenauen Erstschlagsraketen sollte der Atomkrieg führbar und für die US gewinnbar gemacht werden.

US-Präsident Reagan kündigte einen "Kreuzzug gegen das "Reich des Bösen" an. Die Sowjetunion habe nur die Wahl mit einem Wimmern oder einem Knall unterzugehen. Reagan drohte ganz offen mit dem atomaren Erstschlag gegen die Sowjetunion: Es gelte, "dem sowjetischen Huhn den Kopf abzuschlagen" erklärte der Präsident der USA. "Ich biete dem langjährigen sowjetischen Botschafter der DDR hiermit eine Wette an, daß der Kreml innerhalb der nächsten fünf Jahren die deutsche Karte spielen wird" erklärte der Vertriebenenfunktionär und Staats-sekretär Otfried Henning im Interview mit dem Spiegel am 22..11.1984. Er sollte Recht behalten.

Mit der Wende von 1989/90, der Einverleibung der DDR, wurde nicht etwa die von vielen erhoffte Friedensdividende fällig, sondern folgte neue Aufrüstung und eine neue aggressive Ausrichtung der Bundeswehr. Generalinspekteur Naumann forderte in den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992: Die deutschen Militäreinsätze der Zukunft sind auf die Sicherung der Handelswege und die Erlangung von Rohstoffen gerichtet und die Einsätze finden in der Regel fernab von Deutschland statt, verlangen aber Rückendeckung einer Bevölkerung, die in Frieden lebt.

Jederzeit einsatzbereit

Das Bundesverfassungsgericht paßte mit seinem Urteil vom 12.7.1994 die Rechtslage an die Bedürfnisse der neuen Großmachtpolitik an. Deutschland wird am Hindukusch verteidigt. Die Bundeswehr ist "eine Armee im Einsatz". Mit dem Umbau der Bundeswehr zur Interventionsarmee tritt der "Kämpferkult" und mit ihm die reaktionärsten militaristischsten Positionen seiner traditionalistischen Gruppen in der Führung der Bundeswehr wieder offen hervor. Heeresinspekteur Gerd Gudera, den Struck dafür lobte, daß die Bundeswehr in Afghanistan so erfolgreich sei empörte sich anläßlich seiner Verabschiedung darüber, daß nirgendwo außer in Deutschland Soldaten in ähnlicher Weise verunglimpft und in ihrer Ehre beschnitten werden. Gudera bezog sich dabei auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1994, in dem das höchste Gericht entschieden hatte, daß die von Tucholsky stammende Äußerung: "Soldaten sind Mörder" nicht in jedem Fall beleidigend sei. Sein Nachfolger im Amt, Heeresinspekteur Generalmajor Budde erklärt: "Wir brauchen den archaischen Kämpfer und den, der den High-Tech-Krieg führen kann. Den deutschen Soldaten der Zukunft müsse man sich vorstellen, als einen Kolonialkrieger, der "fern der Heimat bei dieser Art Existenz in Gefahr steht, nach eigenen Gesetzen zu handeln." (Welt am Sonntag 2.2.04). In einer Studie des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik von 2004 heißt es: "Der Soldat als kriegsnah ausgebildeter, allzeit bereit, selbstlos dienender und unbedingt gehorchender Kämpfertyp wird zur fraglos zu akzeptierenden Norm." Solches Helden-Credo impliziert ein "unverkrampftes" Verhältnis zur deutschen Geschichte. Womit wir wieder am Anfang sind.

Antifa-Nachrichten 3/2005

Donnerstag, 7. Juli 2005

Militarisierung

Die deutsche Bundespolizei wird perspektivisch auch im Irak eingesetzt werden können und dort in geschlossenen Verbänden "für Sicherheit sorgen".

Dies bestätigt ein Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) auf Anfrage von german-foreign-policy.com. Die Bundespolizei führt den früheren Bundesgrenz-schutz fort, dessen weltweite Sonderoperationen bereits mehrere Tote forderten. 119 Bundespolizisten einer neuen Einsatzhundertschaft rückten am Dienstag in den Standort Gifhorn (Niedersachsen) ein. Dem Kontingent werden im kommen-den Januar über 100 Uniformierte folgen, die nach sechsmonatiger Ausbildung für kollektive Auslandseinsätze befähigt sind. Teil deren Trainingsprogramms ist die Niederschlagung von Demonstrationen, gegen die deutsche Bundespolizisten im Irak, in Afghanistan oder im Kosovo zur Verfügung stehen sollen. Eine zusätzliche Bewaffnung mit Maschinengewehren sei zu überlegen, äußert der Vorsitzende der deutschen Polizeigewerkschaft.

Sobald sich die Lage beruhigt habe, werde die Bundespolizei auch im Irak tätig werden können, sagte der GdP-Pressesprecher dieser Redaktion. Voraussetzung sei ein Abklingen der gegenwärtigen Kämpfe. Deutsche Polizeioperationen im Irak sind nicht neu, beschränkten sich aber bisher auf einzelpolizeiliche Maßnahmen. So starben im vergangenen Jahr zwei BGS-Beamte während eines Einsatzes unter Beteiligung der deutschen Auslandsspionage (BND) im irakischen Kriegsgebiet von Falludscha. Die im Januar in Gifhorn einrückende Hundertschaft soll nicht nur in Kleingruppen, sondern massiert vorgehen und "Unruhebekämpfung" (riot control) als eigenständige Truppenformation erledigen. "Sie machen einen wichtigen Job", äußerte der SPD-Bundestagsabgeordnete Heil beim Empfang der ersten Einsatzhundertschaft in Gifhorn.

Rotten

Zum neuen Aufgabengebiet gehört es, "Demonstrationen bewältigen zu können", die gegen westliche Besatzer in Afghanistan oder im Irak gerichtet sind. Dabei "rotten sich möglicherweise Menschen zusammen", denen weniger mit Panzern als mit einer "geschlossene(n) Polizeieinheit" beizukommen ist, argumentiert ein BGS-Spezialist mit Auslandserfahrung. Dass solche Einsätze in rechtlichen Grauzonen stattfinden, räumt auch der GdP-Pressesprecher ein. Die Bundespolizei werde in Situationen geraten, "die mehr militärischen Charakter haben", heißt es gegenüber german-foreign-policy.com.

Maschinengewehre

In der GdP-Führungsetage, die über enge Beziehungen zum Bundesinnenminis-terium verfügt, werden Überlegungen angestellt, dem zukünftigen Aufgabenge-biet durch kriegsfähige Bewaffnung zu entsprechen. So gibt der GdP-Bundesvorsitzende Konrad Freiberg zu bedenken, die weltweit operierenden Polizeieinheiten unter dem Kommando des deutschen Innenministers "müssten gepanzerte Fahrzeuge haben" ; überlegenswert sei es ebenfalls, "für diese Einsätze Maschinengewehre" bereitzuhalten. Die von Freiberg ins Gespräch gebrachten Maschinengewehre sind Kriegswaffen, deren Gebrauch Kombattantenstatus voraussetzt. Jede damit ausgerüstete Formation unterliegt den militärischen Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung - eine Polizeieinheit ist sie nicht.

Wahn

Wie Freiberg bestätigt, bedarf die ins Auge gefasste Aufrüstung gesetzlicher Änderungen, über die in Berlin gegenwärtig verhandelt wird. Dabei steht die außenpolitische Militarisierung der Bundespolizei nicht in Frage; strittig sind innerstaatliche Kompetenzen. Mehrere deutsche Landesregierungen fürchten um den Einfluss ihrer föderalen Polizeitruppen, die von der Berliner Bundespolizei dominiert werden könnten, und bezichtigen den deutschen Innenminister des "Zentralisierungswahn(s)".

Flankierend

Der vermeintliche Realitätsverlust, den die Opposition dem gegenwärtigen Amts-inhaber zuschreibt, ist Ausdruck struktureller Notwendigkeiten beim Umbau der staatlichen Repressionsapparate. Ihre weltweite Einsatzfähigkeit kann nach Ansicht deutscher Außenpolitiker nur garantiert werden, wenn die Straffung der bestehenden Potentiale unter zentraler Führung baldmöglichst abgeschlossen ist. Entsprechende Maßnahmen finden auf sämtlichen zivilen und militärischen Ebenen statt. Dabei kommt der Militarisierung des deutschen Polizeiapparats flankierende Bedeutung zu, die mit ähnlichen Bemühungen der Geheimdienste einher geht.

Informationen zur deutschen Außenpolitik vom 7.7.2005

Viele Tote

Nach unbestätigten Berichten haben bisher bis zu zwölf Bundeswehr-soldaten des unter Geheimschutz operierenden "Kommando Spezial-kräfte" (KSK) in Afghanistan den Tod gefunden.

Auf Anfrage dieser Redaktion teilt das deutsche Einsatzführungskommando in Potsdam mit, es nehme zu KSK-Angelegenheiten grundsätzlich nicht Stellung. Ein ausdrückliches Dementi erfolgte nicht.

Vor kurzem hatte der Berliner Verteidigungsminister ohne erkennbaren Anlass erklärt, die deutsche Öffentlichkeit müsse sich auf tote Soldaten bei weltweiten Kampfeinsätzen vorbereiten. In Afghanistan nimmt der organisierte Widerstand gegen die ausländischen Besatzungstruppen, darunter Bundeswehreinheiten, stark zu. Wie der afghanische Verteidigungsminister bestätigt, hat die gegenwär-tige Guerilla-Offensive im Süden und Osten des Landes ungewohnte Ausmaße angenommen. Mit einem weiteren Anstieg der kriegerischen Auseinanderset-zungen im Vorfeld der für September geplanten Parlamentswahlen wird gerechnet. Im unmittelbaren Kriegsgebiet kämpfen deutsche Sondereinheiten des "Kommando Spezialkräfte" (KSK). Während die US-amerikanische Öffentlichkeit über den Blutzoll ihrer Besatzungstruppen annähernd informiert wird, unterlie-gen die deutschen KSK-Aktivitäten absoluter Geheimhaltung.

Wegen der militärischen Informationssperre ist es unmöglich, die KSK-Opera-tionen im einzelnen nachzuvollziehen und offizielle Bestätigungen über deutsche Verluste zu erhalten. Auch in den parlamentarischen Gremien herrscht weitge-hende Unklarheit, so dass die in Afghanistan eingesetzte Einheit faktisch keiner Kontrolle der Legislative unterliegt. Einem undementierten Pressebericht zufolge ist das "Kommando Spezialkräfte" (KSK) bereits Ende 2003 in Afghanistan im Kampfeinsatz gewesen und seit Ende Mai 2005 erneut im Südosten des Landes aktiv - einem Zentrum des Widerstands. Dort soll dem KSK ein eigener "Sektor" zugeteilt worden sein, in dem es über "Coordinating Authority" verfügt.

Vermisst

Deutsche Geheimdienstkreise nennen eine Zahl von bis zu zwölf KSK-Toten, die Opfer der bisherigen Einsätze wurden. Eine Quelle, die anonym bleiben möchte, räumt ein, dass es sich bei dieser Opferzahl um unverifizierte Angaben handelt; ihre Glaubwürdigkeit nimmt angesichts der jüngsten US-Verluste zu. In den vergangenen Tagen starben mindestens 18 Militärs, die im östlichen Afghanistan an "Search and destroy"-Operationen beteiligt waren. Bei Redaktionsschluss wurden noch immer US-Soldaten vermisst. "Wir berichten über KSK nicht", heißt es auf Anfrage von german-foreign-policy.com im Potsdamer Einsatzführungs-kommando, das sämtliche Auslandseinsätze der Bundeswehr steuert.

Pulverfass

Wie der afghanische Verteidigungsminister Abdur Rahim Wardak erklärt, be-gann die aktuelle Aufstandstätigkeit wie üblich nach der diesjährigen Schnees-chmelze, übersteigt inzwischen aber das Maß der vergangenen Jahre deutlich. Die Aufständischen verfügten inzwischen über "mehr Geld, bessere Waffen und entwickeltere Technologien", darunter schultergestützte Flugabwehrraketen, berichtet Wardak gegenüber der US-amerikanischen Presse. Wie es heißt, verbünden sich bei den Aufständen unterschiedlichste Gruppierungen (Taliban, Al Qaida, lokale Befehlshaber) gegen die ausländischen Besatzungstruppen. "In letzter Zeit hat es Angriffe und kriegerische Auseinandersetzungen im Süden und Osten des Landes gegeben", bestätigt auch das deutsche Einsatzführungs-kommando. Die Eskalation im unmittelbaren Kriegsgebiet wird begleitet von dramatischen Lageberichten aus der Hauptstadt. Kabul gleiche einem "Pulver-fass", heißt es in kirchlichen Hilfsorganisationen.

Harte Monate

Die Zuspitzung der Situation im gesamten Land stellt Hoffnungen deutscher Politikberater in Frage, Afghanistan könne "in 15 bis 20 Jahren (...) zu einem der wenigen positiven Beispiele internationaler Interventionspolitik werden". Noch im Frühjahr meinte die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in einer Studie einen Rückgang gewaltsamer Auseinandersetzungen zu erkennen, "was auf eine allmähliche Stabilisierung schließen lässt". Zwar könnten die für September 2005 vorgesehenen Parlamentswahlen "gewalteskalierend (...) wirken", doch sei "ein Rückfall des Landes in den Bürgerkrieg eher auszuschließen", vermutete der Autor. Die Hoffnungen der deutschen Stiftung werden von der zunehmenden Aufstandstätigkeit widerlegt. "Wir glauben tatsächlich, dass wir drei sehr harte Monate vor uns haben", erklärte der afghanische Verteidigungsminister bereits Mitte Juni.

Hilfsgelder

Den Besatzungsmächten droht die Kontrolle über die Situation in Afghanistan offenbar zunehmend zu entgleiten. Während der militärische Widerstand gegen die ausländischen Truppen wächst, häufen sich Berichte über steigende "Unzufrie-denheit" in der afghanischen Bevölkerung. Der Unmut gilt u.a. ausländischen Hilfsorganisationen, die sich ohnehin aus weiten Teilen des Landes zurückgezogen haben. Kritisiert wird in der afghanischen Hauptstadt, dass die internationalen Hilfsgelder "überwiegend für die Aufrechterhaltung der Logistik der NGOs verwendet werden". Diese jedoch werde oft "von Ausländern betrieben", schreibt die FES: "So fließen die Lebenshaltungskosten der finanzkräftigen internationalen Akteure direkt zurück ins Ausland". Nach Angaben der FES klagte der afghanische Planungsminister im vergangenen Dezember öffentlich über den Missbrauch von Hilfsgeldern. Unmittelbar danach wurde er vom angeblichen Präsidenten des Landes (Hamid Karzai) entlassen.

Statthaft

Zu den Sterotypen der deutschen Außenpolitik gehört es, die Beteiligung an bluti-gen Gewaltaktionen wie in Afghanistan als friedenserhaltend zu beschönigen, sobald sie von den Vereinten Nationen legitimiert werden. Tatsächlich hat die Billigung des Kabuler Gewaltregimes die UN in den Geruch gebracht, Statthalter der westlichen Okkupanten zu sein. Auch deutsche Kriegsgegner halten die Aktivitäten deutscher Truppen in Afghanistan für statthaft, wenn sie von einem UN-Mandat gedeckt werden.

Informationen zur deutschen Außenpolitik vom 6.7.2005
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